AfD-Kundgebung und Gegenprotest in Massen: Auf Regenbogenschirme folgte Trillerpfeifengetöse

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Dem Aufruf des Runden Tisches gegen Gewalt und Rassismus Unna, sich vor der AfD-Kundgebung auf dem Gemeindeplatz in Massen gegen "extremistische Hetze" zu positionieren, waren am Nachmittag des 29. August rund 200 Teilnehmer gefolgt. Viele hatten Regenbogenschirme dabei. (Foto RB)

Zuerst war der Gemeindeplatz von bunten Regenschirmen bedeckt, im Anschluss gellten Trillerpfeifen und Schmährufe von der gegenüberliegenden Seite des Hellwegs herüber:

Im Ortskern von Unna-Massen trafen am Dienstagnachmittag, 29. August, unvereinbare Positionen aufeinander, beziehungsweise sie folgten direkt aufeinander. In Ansprachen zur Migrations- und Flüchtlingspolitik, wie sie gegensätzlicher nicht hätten akzentuiert werden können.

Um 16 Uhr begann, organisiert vom „Runden Tisch gegen Gewalt und Rassismus“ Unna, die Veranstaltung unter dem Thema „für demokratischen Zusammenhalt und gegen extremistische Hetze“. Eine Antwort auf die zwei Stunden später folgende Kundgebung der AfD unter dem Thema „Remigration jetzt“ mit dem Bundestagsabgeordneten Matthias Helferich als Anmelder und einem der Redner.

Der Runde Tisch hatte seine Gegenveranstaltung bewusst zwei Stunden vorgeschaltet.

Man werde gleich hier auf dem Platz ein Zeichen hinterlassen, kündigte Sprecher Klaus Koppenberg an, „danach werden wir den Platz verlassen, und dann können Herr Helferich und seine Leute hier veranstalten, was sie wollen.“

Klaus Koppenberg, Sprecher des Runden Tischs gegen Gewalt und Rassismus und Ratsmitglied der Unnaer Grünen, moderierte die Veranstaltung, die ab 16 Uhr der Kundgebung der AfD auf dem Massener Gemeindeplatz vorgeschaltet war. Die im Bild zu sehende junge Frau, Schülerin des EBG, sprach im Anschluss über ihre persönlichen Erfahrungen als Mensch mit Migrationsgeschichte in Deutschland. (Foto RB)

Eindringliche Reden mit dem Schwerpunkt auf Humanität, Menschenwürde, Buntheit, Vielfalt und Toleranz folgten. Eine Schülerin des Ernst-Barlach-Gymnasiums (EBG) mit Migrationsgeschichte schilderte ihre persönlichen Erfahrungen und ihre Empfindungen gegenüber Ausgrenzung und Abwertung. Mehrmals wiederholte sie an die Adresse der (noch nicht anwesenden) AfD-Funktionäre: „Wir werden nicht gehen.“

Klaus Koppenberg, Sprecher des Runden Tisches, dankte dem jungen Mädchen für seinen Mut, sich zu erklären, es sei „beschämend und erschreckend“, dass man ihren Namen nicht nennen könne aus Furcht vor rassistisch motivierten Angriffen.

Superintendent Karsten Schneider vom Evangelischen Kirchenkreis legte seinen Schwerpunkt auf Humanität, Menschenwürde und christliche Nächstenliebe. Die Probleme, die es beim Thema Flucht und Migration gebe, müssten natürlich offen benannt werden, aber respektvoll und lösungsorientiert, unterstrich er, ohne Hass und Hetze.

Als Kirchenmann konzentrierte sich Schneider auf den humanitären Aspekt der Flüchtlingsproblematik. Er benannte die „verzweifelte Not der Menschen, die zu uns kommen“, er beschwor die täglich auf ihrer Flucht übers Mittelmeer „jämmerlich Ertrinkenden“ und appellierte an die „bunte und offene Gesellschaft, die Vielfalt, die uns ausmacht“.

Die Menschen, die zu uns kommen, nannte Schneider „Schätze“. Mit einem Exkurs auf die sogenannten Gastarbeiter und die Aussiedler in der ehemaligen Landesstelle betonte der Superintendent, was man schon alles geschafft habe und was man auch diesmal wieder schaffen werde: „Wir sind Weltmeister der Integration!“

HIER können Sie Dr. Schneiders Redemanuskript im Wortlaut nachlesen.

Nach dem obersten Chef des Kirchenkreises trat dann der frühere Landrat und Sozialdezernent des Kreises Unna ans Mikrofon, Michael Makiolla (SPD). Sein Nachfolger, Amtsinhaber Mario Löhr, weilte als Zuhörer im Publikum, ebenso wie zahlreiche andere Vertreter der lokalen SPD, der CDU und der Grünen.

Anders als sein Vorredner Schneider, der lediglich allgemein kurz „Probleme“ bei der derzeitigen Flüchtlingspolitik erwähnt hatte, nannte Makiolla die aktuellen Ereignisse in und an den großen Flüchtlingsunterkünften durchaus beim Namen.

Zu Massen und den Polizeieinsätzen in der vorletzten Woche dort erklärte der ehemalige Landrat:

„Es ist eine Tatsache. Die Probleme an und in der Erstaufnahmeeinrichtung in Massen haben deutlich zugenommen.“ Und: „Wir müssen die Sorgen der Anwohner sehr, sehr ernst nehmen“, warnte Makiolla.

Zur Lösungsfindung sieht er jedoch die Bezirksregierung und die Landesregierung in der Pflicht.

Die Situation in der EAE und in anderen Einrichtungen, wo viel zu viele Menschen perspektivlos auf engen Raum zusammengedrängt werden, müssten dringend menschenwürdig gestaltet werden. Etwa, indem das Land kommunale Betreuer einsetzt werden statt auf „billigste Lösungen“ zu setzen. Er forderte vom Land deutlich mehr Engagement (und damit einhergehend unausgesprochen auch Geldmittel) für Versorgung, Unterbringung, Integration.

Und Vertreter der „demokratischen Parteien“, Makiolla nannte die CDU nicht beim Namen, müssten sich davor hüten, das „hetzende Vokabular der Extremisten zu übernehmen“, weil sie diese dadurch nur noch stärkten.

HIER können Sie Makiollas Rede im Wortlaut nachlesen.

Mit einem gemeinsam gesungenen „We shall overcome“ unter Dutzenden aufgespannten Regenbogenschirmen klang die Veranstaltung nach ca. einer Stunde friedlich und ohne Zwischenfälle aus.

Unter den schätzungsweise rund 200 Teilnehmern sah man eine Vielzahl Unnaer Stadt- und Kreispolitikern. Auch Bürgermeister Dirk Wigant und seine Beigeordneten weilten der Veranstaltung bei.

Um kurz nach 18 Uhr folgte die zweite Kundgebung an diesem Tag, die der Alternative für Deutschland (AfD), angemeldet von dem fraktionslosen AfD-Bundestagsabgeordneten Matthias Helferich.

Der Rechtsanwalt aus Dortmund wird zum sogenannten Höcke-Flügel gerechnet. Er sprach als einer von drei Rednern im Anschluss an Nils Hartwig, stellv. Kreissprecher des AfD-Kreisverbandes Unna, und Friederike Hagelstein, Vorsitzende der zweiköpfigen AfD-Ratsfraktion Lünen.

Im Gegensatz zur ersten Kundgebung wurde diese zweite (mit rund 60 AfD-Anhängern und etwa doppelt so vielen Protestlern auf der gegenüberliegenden Seite des Massener Hellwegs, unter ihnen einen kleine Gruppe der Antifa) lautstark von gellenden Trillerpfeifen und skandierten Schmähgesängen begleitet.

Neben Rufen wie „Niemand in Unna mag die AfD!“, „Nazis Raus!“ oder „Halt die Fresse!“-Gebrüll wurde aus der Reihe der AfD-Gegner auch gehöhnt: „Ihr seid so hässlich!“. Beim Auftritt der Lüner Ratsvertreterin Hagelstein wurde diese aus der Gruppe der Schreienden als „Nazi-Schlampe“ betitelt.

Die AfD-Vertreter und ihre Anhänger konterten mit im Chor gesungenem „Remigration jetzt!“, was sich zusammen mit den Trillerpfeifen zeitweilig zu einer ziemlichen Geräuschkulisse überlagerte.

In ihren Reden bekannten sich die drei AfD-Politiker vehement zum strikten Migrationskurs der Bundespartei, der auf einen kurzen Nenner gebracht lautet: Jeder, der laut Gesetz nicht in Deutschland sein darf, hat Deutschland unverzüglich zu verlassen.

Genauso wie jeder kriminelle Asylsuchende: Man könne sich abends „kaum noch auf die Straße trauen“, beklagte Friederike Hagelstein zu diesem Thema. Hier ein Auszug aus ihrer Rede.

Nils Hartwig, aufgewachsen in Massen, erinnerte an die ehemalige Landesstelle in den 70er und 80er Jahren.

„Hat man in dieser Zeit jemals gehört, dass es dort Ausschreitungen gab, Schlägereien mit hunderten Beteiligten, Vergewaltigungen und Messerstechereien? Nein, das gab es in der Landesstelle nicht!“

Die Vielzahl an Straftaten und notwendigen Polizeieinsätze seien nicht mehr hinzunehmen, pflichtete ihr im Anschluss Bundestagsabgeordneter Helferich bei.

Der Dortmunder Rechtsanwalt nannte es „unerträglich“, dass auch schwer kriminell gewordene Asylsuchende nicht abgeschoben würden, sondern „wir sie in unserem Land auf unsere Kosten weiter durchfüttern müssen“. Unerträglich sei auch die Entscheidung der Bezirksregierung gewesen, die Straftäter bei den Krawallen in der Erstaufnahmeeinrichtung Massen lediglich „in eine andere Einrichtung zu verlegen“ statt sie kurzerhand ins nächste Flugzeug zu setzen.

Dass diese Entscheidung nicht der Bezirksregierung obliegt, führte Helferich nicht weiter aus. Die AfD fordert diesbezüglich grundlegende Gesetzesänderungen und Beschleunigungen.

„Holen wir uns unsere Heimat zurück“, rief Helferich final seinen einigen Dutzend Anhängern zu. Diese klatschten vehement und riefen „Bravo!“, von der anderen Straßenseite brandete neues Protestgeschrei auf.

Zum Schluss sangen die AfD-Anhänger die Nationalhymne.

HIER finden Sie ein Meinungsbild über die Veranstaltung.

Alle Fotos: Rundblick Unna

11 KOMMENTARE

  1. Wie nicht anders zu erwarten wieder einmal 2 Fronten zu einem Thema das endlich von der Politik in aller Ernsthaftigkeit erkannt und angegangen werden muss.

    Zu den Beiträgen und Auftreten der AFD kann / werde ich mich nicht äußern, nicht „meine Welt“.
    Vom Runden Tisch wieder die üblichen Phrasen. Schuldzuweisung Richtung Landes- und Bundesregierung, wieder die Suche nach unseren Verfehlungen zur Situation in Massen und der Flüchtlingssituation allgemein.
    Und wieder der Schrei nach mehr Geld, mehr Sozialarbeiter, mehr.., mehr.., mehr…
    Wie schrieb J. Fleischhauer kürzlich in einem FOCUS Kommentar zur Subventions-, Sozialpolitik und Migration: „Sobald sich ein Problem auftut, nimmt man einfach die Subventionsgießkanne zur Hand und schüttet Geld drauf. Sollte sich das Problem halten, gießt man nach“. „Statt Migration in die Sozialsysteme brauchen wir qualifizierte Zuwanderung.“

    Und wenn sich der Superintendent vom Evangelischen Kirchenkreis problemorientierte Lösungen wünscht macht er im nächsten Satz eine Rolle rückwärts, kann nicht genug „Schäfchen, seine Schätze aus aller Welt“ bekommen.
    Schwach offensichtlich der Auftritt von H. Makiolla, speziell dass er die einzige Partei (Gründungspartei der demokratischen BRD) deren Vertreter ansatzweise die Probleme ansprechen natürlich sofort in die rechte Ecke stellt und mit der AFD vergleicht. Ebenso die Deutsche Geschichte bemüht und warnt.
    Dabei ist seine Partei zusammen mit den Grünen maßgeblich die treibende Kraft für den massiven Vertrauensverlust der Bürger in die derzeitige Politik mit zerstrittenen, überforderten Politikern und unfähigen Politikerinnen.

    Insofern nichts Neues und nur wieder mehr Aufmerksamkeit für eine Partei als erforderlich.

  2. Einen Dank an den Rundblick für die sehr aufwendige kostenlose Berichterstattung. Im Vergleich zu früher gibt es kaum noch Nachrichtenportale, die einen vor allem journalistisch professionell aufbereitet neutral über die Geschehnisse in Unna so zeitnah informieren.

    Keine Berichterstattung von Journalisten, sondern ein Kommentar eines Bürgers zu der Protestform der Gegendemo am Abend mit prominenter Besetzung:

    Erst habe ich mich gewundert, warum die Gegendemo vorher und nicht parallel stattfindet.
    Dann habe ich verstanden, das es erst einen offiziellen seriösen bunten Teil mit dem ehemaligen Landrat Makiolla gab bei dem alle friedlich gemeinsam sangen, und für den Abend dann der schwarz vermummte agressive ANTIFAmob mit den Grünen Politikern Keuchel (Fraktionsvorsitzende), Sacher (Bundestag) und Quenum (Jugend Unna) an der Seite auftauchte.
    Möglicherweise wollten Teilnehmer der friedlichen Nachmittagsdemo mit dem agressiven Auftreten dieser kleineren Gruppe nicht unmittelbar in Verbindung gebracht werden.

    Dieser schwarz gekleidete Antifablock hat anonym, hinter einem Banner versteckt, pausenlos tourettartig Beleidigungen und Hassparolen geschrien.
    Welcher seriöse Politiker gesellt sich zu so einer Gruppierung am Straßenrand?

    Eine Gruppierung, die sogar regelmäßig in den Städten Polizeibeamte angreift, Polizeifahrzeuge abfackelt und Verwüstungen in Städte durch tagelange Straßenschlachten anrichtet. Die politische Gegner überfällt oder deren Versammlungsorte angreift. Oder wie gerade in Hessen Feindeslisten mit privaten Wohnanschriften von gewählten Landtagsabgeordneten ins Netz stellt. Für die linksradikale ANTIFA gibt es zwei wesentliche Feinde: Die „Rechten“ und die „Polizei“. Das sie Gewalt als politisches Kampfmittel ansieht, ist unbestreitbar.

    Können die Grünen in Unna nicht mit ihren zahlreichen Mitgliedern auf gepflegtere Art und Weise Zeichen setzen, anstatt gemeinsam mit so einer Gruppierung aufzutreten? Hätte die Gegendemo am Abend ohne diesen Block möglicherweise bürgerlicher gewirkt? Hat man mit dieser Aktion der kleinen AFD Kundgebung geschadet oder ihr eher mehr Aufmerksamkeit verschafft?

    Eigendlich hat es mich als neutraler Beobachter interessiert, ob bei der AFD Veranstaltung allseits bekannte Szenegrößen (NPD, Dritte Weg, NWDO, Heimat, etc.) aus der rechtsradikalen Hochburg Dortmund auflaufen um gegebenfalls hier darüber zu informieren.
    Das ist die beste Möglichkeit, um zu erkennen, ob sich eine Partei von radikalen Kräften distanziert.

    • Danke unsererseits für die anerkennenden Worte, Schmunzler. Wir werden die hier hinterlassenen Kommentare zusammen mit ausgewählten Meinungen auf FB noch zu einem Stimmungsbild zusammenfassen.

  3. […] Anlass war die für den frühen Abend angemeldete Kundgebung der Alternative für Deutschland (AfD) mit dem Bundestagsabgeordneten Matthias Helferich. Der Anwalt aus Dortmund wird dem sogenannten Höcke-Flügel in der AfD zugerechnet. Neben ihm traten die AfD-Fraktionsvorsitzende im Stadtrat Lünen, Friedrike Hagelstein, und der stellv. Kreisverbandssprecher Nils Hartwig als Redner vor ihr Publikum. […]

  4. Ist schon erstaunlich wie die angeblichen Gutmenschen, andersdenkende mit reichlich Schimpfwörtern betiteln. Diese Menschen kann man nicht ernst nehmen. Wahrscheinlich nennen sie sich auch noch Demokraten. Was ist hier in Deutschland eigentlich los?

  5. […] Anlass für Schneiders Ansprache war die für den frühen Abend angemeldete Kundgebung der Alternat… mit dem Bundestagsabgeordneten Matthias Helferich. Der Anwalt aus Dortmund wird dem sogenannten Höcke-Flügel in der AfD zugerechnet. Neben ihm traten die AfD-Fraktionsvorsitzende im Stadtrat Lünen, Friedrike Hagelstein, und der stellv. Kreisverbandssprecher Nils Hartwig als Redner vor ihr Publikum. […]

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