Bücher und Blumen sind jetzt „täglicher Bedarf“ – Ab 8. 3. Terminshopping – Handel: Katastrophe

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Nur nach festem Termin zum Einkaufen, mit festgelegter Zeit - die nächste Stufe der Corona-Lockerungen ab 8. März. (Symbolbild Pixabay / bearbeitet)

Dieser Beschluss sei kompliziert wie der Beipackzettel eines Medikaments, urteilte NRW-SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty am Donnerstagvormittag (4. 3.) bei der Aussprache im Landtag über den 12-seitigen neuen Coronabeschluss, den die Ministerpräsidenten der Länder am Vortag bis in die Nacht zusammen mit dem Kanzleramt ausgehandelt hatten.

Wir berichten HIER ausführlich über die Beschlüsse.

Lesen Sie HIER bei Interesse, wie NRW die Coronabeschlüsse konkret umsetzt.

UPDATE am 10. März – erstes Gericht kippt das Termin-Shopping

Auch unsere Leserinnen und Leser reagierten teils fassungslos auf das hochkomplexe, verdrechselt formulierte Regelwerk, das Öffnungen in 5 Stufen bei unterschiedlichen regionalen Inzidenzen festlegt, unterschiedlich für alle möglichen Branchen, mit möglichen Schritten vor und zurück.

Als Maßgabe gilt jetzt wieder die Inzidenz 50, die 35 ist vom Tisch. NRW liegt heute bei 62,8 der Kreis Unna bei 68,4.

Quelle Bundesregierung

Schrittweise erklärt: Was darf ab Montag, 8. März 2021, konkret in NRW wieder öffnen und angeboten werden?

Bücher, Schnittblumen, Topfpflanzen und ähnlich „Blumiges“ zählt ab kommenden Montag, 8. März 2021, deutschlandweit zu den Einzelhandelsgütern des „täglichen Bedarfs“. Daher dürfen die entsprechenden Geschäfte und Märkte mit den entsprechenden Hygieneschutzkonzepten und Kundenzahlbegrenzungen ab Montag öffnen.

Ebenfalls ab Montag dürfen wieder über Friseure hinaus auch alle anderen körpernahen Dienstleister wieder Kunden bedienen: Kosmetiksalons, Nagelstudios, Tattoo-Studios. Wo (wie bei Kosmetik oder Rasur) nicht dauerhaft eine Maske getragen werden kann, ist ein ein tagesaktueller COVID-19 Schnell- oder Selbsttest der Kundin oder des Kunden und ein Testkonzept für das Personal Voraussetzung.

Fahr- und Flugschulen dürfen auch wieder öffnen – mit Tests.

Der Einzelhandel, der nicht dem täglichen Bedarf zugerechnet wird, darf ab Montag Terminshopping anbieten, also Einkaufen nach Termin („Click and meet“).  Feste Buchung eines Termins mit festgelegter Zeit ist dafür notwendig, pro Kunde sind 40 qm Platz einzuplanen.

Ebenfalls mit vorheriger Terminbuchung dürfen Bürger wieder Museen, Galerien, Zoos und botanische Gärten sowie Gedenkstätten besuchen.

Individualsport mit bis zu 5 Personen aus 2 Haushalten ist ab Montag erlaubt sowie Sport in Gruppen von bis zu 20 Kindern bis 14 Jahren – alles im Außenbereich inklusive Sport- und Bolzplätzen.

Generell werden die Kontaktbeschränkungen wieder gelockert, es dürfen sich ab Montag wieder zwei Haushalte mit bis zu 5 Personen in der Öffentlichkeit treffen, Kinder bis zum 14. Lebensjahr werden nicht mitgezählt. Der private Bereich (eigenes Haus, eigene Wohnung, eigener Garten) war von diesen Kontaktbeschränkungen in der NRW-Coronaschutzverordnung stets ausgenommen (Schutz durch Grundgesetz Art. 13).

Ab dem 22. März gelten folgende Öffnungserlaubnisse:

Erst ab dem 22. März (und nur bei stabiler oder sinkender Inzidenzlage) darf die Gastronomie wieder öffnen – aber nur die Außengastronomie.

  • Liegt die Inzidenz bis dahin unter 50, kann man sich einfach ins Straßencafé setzen;
  • liegt sie weiter zwischen 50 und 100, muss man zuvor einen Termin buchen und einen tagesaktuellen Schnell- oder Selbsttests vorliegen, wenn man mit Menschen aus mehreren Hausständen an einem Tisch sitzt.

Ebenfalls ab dem 22. März ist der Besuch von Theatern, Konzert- und Opernhäusern und Kinos unter Vorlage eines negativen Tests möglich.

Ein tagesaktueller Schnell- oder Selbsttest ist ebenfalls Voraussetzung dafür, wenn man ab dem 22. 3. wieder kontaktfreien Sport in Hallen und Kontaktsport draußen ausüben möchte.

Noch entschieden werden müsse, ob das Shoppen mit Termin NRW-weit auch für Regionen gilt, die über der Inzidenz 100 liegen. Das gilt z. B. heute (4. 4.) für den direkt an den Kreis Unna grenzenden Märkischen Kreis. Die Landesregierung hatte sich bisher gegen lokale Öffnungen ausgesprochen, um Shoppingtourismus zu verhindern.

Ministerpräsident Armin Laschet sagte bei der Aussprache am Vormittag im Landtag, die Beschaffung und Bereitstellung von Schnelltests sei jetzt ein „gigantisches Unternehmen, das Land und Kommunen jetzt aufbauen müssen“. Die Erlaubnis, dass Blumen- und Buchläden am Montag öffnen dürfen, verteidigte er:

„Persönlicher Bedarf sind nicht nur Lebensmittel, sondern für viele Leute auch Bücher.“

Zu den Lockerungen beim Sport draußen bemerkte der Ministerpräsident:

„Wenn Kinder draußen miteinander Fußball spielen, zählen wir sie nicht.“

SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty sagte, das Beschlusspapier sei „besser geworden, als ich zwischenzeitig mal befürchtet hatte.“ Es beinhalte eine Mischung aus Lockdown und Lockerung. Allerdings hatte er beim Durchforsten des umfangreichen Beschlusses „einen Eindruck, der mich so daran erinnerte, als ob ich einen Beipackzettel eines Medikaments lese.“

Kutschaty kritisierte den schleppenden und verspäteten Beginn einer konzertierten Teststrategie:

„Ein Monat Lockdown kostet uns 60 Milliarden Euro – jeden Tag ein Mal jeden Bürger zu testen kostet 5 Milliarden.“

Gleichwohl sieht Kutschaty viele Branchen, vor allem die Gastronomie, im Abseits.

„Und was ist mit den Schulen?“, stellte der SPD-Chef die Frage kritisch in den Raum. Nach der bisherigen Marschroute der Landesregierung hätte Bildung doch stets Vorrang genießen sollen bei allen weiteren Öffnungen.

Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) könne sich der Unterstützung durch die SPD bei schnellen weiteren Schulöffnungen sicher sein, unterstrich Kutschaty.

Er forderte die Ministerin auf, schnellstmöglich weitere Wechselpräsenz-Modelle zu ermöglichen – allerdings flankiert mit Schnelltests, Luftfiltern und FFP2-Masken.

Als Seitenhieb empfahl er der FDP-Ministerin, sich an den Oberbürgermeister von Solingen zu wenden: „Er schickt Ihnen gern sein Konzept, das schon seit Sommer vorliegt. Sie müssen es sich dann nur noch ausdrucken.“

Auch bei den Kitas sei die zügige Ausstattung mit Luftfiltern erforderlich. Und das Land müsse die Kitagebühren für alle Monate erstatten, in denen es keinen Regelbetrieb gab.

„Das sind wir den Eltern schuldig. Wer seit Monaten in Kurzarbeit ist, für den sind 100 Euro mehr oder weniger durchaus relevant.“

Aus Sicht der CDU hat die Ministerpräsidetenkonferenz „geliefert, folgerichtig sei ein Fahrplan herausgekommen mit 5 Stationen, bei klaren Aussagen, was jeder Bürger dort zu erwarten hat bzw. leisten muss und wann er wieder eine Station zurückfahren muss. Auch die FDP lobte Laschet. Massive Kritik an den Beschlüssen kam von den Grünen – es werde nach einem wirren „Plan“ geöffnet, bevor überhaupt eine Teststrategie klar sei – und von der AfD, die der Landesregierung die systematische Zerstörung der Wirtschaft vorwarf.

Einzelhandel schockiert – „Keine Perspektive“

Als „Katastrophe“ bezeichnet der Handelsverband (HDE) NRW die Corona-Beschlüsse von Bund und Ländern. In einer Pressemitteilung vom Donnerstagmorgen, 4. 4., heißt es dazu:

Die für eine Öffnung der Geschäfte vorgeschriebene stabile Inzidenz von 50 sei nicht flächendeckend in Sichtweite, Click & Meet könne die Händler nicht einmal annähernd retten. Die damit weitgehend geschlossenen Handelsunternehmen werden bis Ende März im Vergleich zu 2019 weitere 10 Milliarden Euro Umsatz verlieren.

„Die Ergebnisse des Corona-Gipfels sind für den Einzelhandel eine Katastrophe. Faktisch wird der Lockdown damit trotz aller theoretischen Perspektiven für die große Mehrheit der Nicht-Lebensmittelhändler bis Ende März verlängert“, so HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth.

Die für eine Wiedereröffnung aller Geschäfte als Bedingung genannte stabile Inzidenz von unter 50 sei auf absehbare Zeit wohl nicht flächendeckend zu erreichen.

Und auch die Möglichkeiten für den Einkauf nach Terminvergabe könnten für die allermeisten Geschäfte kein wirtschaftlicher Rettungsanker sein. Denn dabei seien in der Regel die Personal- und Betriebskosten höher als die Umsätze.

Die Verlängerung des Lockdowns vom 8. bis zum 28. März kostet die geschlossenen Handelsunternehmen nach HDE-Schätzung im Vergleich zum letzten normalen Jahr 2019 rund 10 Milliarden Euro Umsatz.

„Ende März sind viele Händler dann seit mehr als 100 Tagen geschlossen. Das ist nicht mehr zu verkraften. Die Politik nimmt ihre Verantwortung für die zwangsgeschlossenen Händler nicht wahr. Denn gleichzeitig kommen die staatlichen Hilfszahlungen nur schleppend und spärlich an“, so Genth weiter.

Die Corona-Maßnahmen sollten sich nicht an symbolträchtigen Branchen wie dem Handel abarbeiten, sondern sich an der jeweiligen Infektionsgefahr orientieren. Der HDE verweist in diesem Zusammenhang auch auf die Einschätzung des Robert-Koch-Instituts, wonach die Infektionsgefahr beim Einkauf unter Beachtung von Hygienemaßnahmen niedrig ist. Zuvor hatte bereits eine Studie der Berufsgenossenschaft für Handel und Warenlogistik (BGHW) sowie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) deutlich gemacht, dass für die Beschäftigten im Handel kein erhöhtes Infektionsrisiko besteht.

„Die Politik orientiert sich weiter stur ausschließlich an Inzidenzwerten. Dieses Vorgehen erscheint zunehmend fragwürdig. Es gibt keine vernünftigen Argumente, den Einzelhandel jenseits aller wissenschaftlichen Erkenntnisse einfach weiterhin geschlossen zu halten. Hier wird ohne nachvollziehbare Gründe die Kernbranche der Innenstädte geopfert“, so Genth. Der Handelsverband setzt sich weiterhin für eine zeitnahe und komplette Öffnung aller Geschäfte unter Einhaltung von Hygiene- und Abstandsregeln ein.

Handwerk: „Hinter Erwartungen zurück“

Das Statement der Dortmunder Handwerkskammer (HWK) zum gestrigen Bund-Länder-Treffen lautet wie folgt:.

Wir begrüßen, dass sich Bund und Länder auf eine für alle Länder an gleichen Vorgaben orientierte Öffnungsstrategie verständigt haben. Leider bleiben die Beschlüsse im Detail jedoch hinter den Erwartungen des Handwerks zurück.

Es ist eine gute Nachricht, dass nach den Friseuren ab kommender Woche nun auch die anderen körpernahen Dienstleister, wie
Kosmetiker, öffnen können. Für andere von Schließungen betroffene Betriebe rückt die ersehnte Öffnung, von der ihre Existenz abhängt, jedoch weiterhin in die Ferne.

Es ist richtig, dass Bund und Länder das Impfen forcieren wollen. Gleichzeitig werden Aspekte wie der Impffortschritt, der R-Wert, die Verfügbarkeit von Schnell- und Selbsttests oder die von den Betrieben erarbeiteten Hygienekonzepte bei den Öffnungsschritten nicht berücksichtigt.

Hier wäre deutlich mehr Spielraum für ein beherzteres Hochfahren des wirtschaftlichen Lebens gewesen.“

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