Bürgern den Mund verbieten: SPD, WfU und FLU protestieren gegen Pläne des Bürgermeisters

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Im gemeinsamen Protest vereint: Zum ersten Mal überhaupt gingen SPD, WfU und FLU mit einer Erklärung gemeinsam an die Presse. V. li. Sebastian Laaser (SPD), Ingrid Kroll (WfU) und Klaus Göldner (FLU). - Foto: SPD Unna

Bürgerbeteiligung wird geschwächt, Politik gegängelt!“

Der Entwurf der neuen Geschäftsordnung für den Unnaer Stadtrat (HIER nachzulesen) ist für die Rats-Opposition absolut inakzeptabel.

+++ UPDATE, hier der Artikel dazu aus dem Hauptausschuss am 2. 3. 23 +++

In einem bisherigen Novum traten die Fraktionsvorsitzenden von SPD, Wir für Unna (WfU) und Freier Liste Unna (FLU) am Dienstag (28. 2.) gemeinsam vor die Presse, um ihre Fassungslosigkeit und ihren entschlossenen Widerstand gegen die Pläne der Verwaltung kund zu tun. Sie sind entschlossen, notfalls den Gerichtsweg zu beschreiten.

„Den Entwurf für eine neue Geschäftsordnung des Rates werden wir in der vorliegenden Form nicht mittragen“, machten Sebastian Laaser (SPD), Ingrid Kroll (WfU) und Klaus Göldner (FLU) deutlich.

Der Entwurf sei das genaue Gegenteil von dem, was Dirk Wigant (CDU) im Bürgermeisterwahlkampf angekündigt habe.

„Dieser Bürgermeister ist angetreten mit dem Versprechen, mehr Bürgerbeteiligung zu ermöglichen. Jetzt erleben wir das genaue Gegenteil.“

Die Stadtspitze wolle die Einwohnerfragestunde in Ratssitzungen beschneiden, die Rechte sachkundiger Bürger schwächen, sie stelle die Öffentlichkeit der Sitzungen teilweise in Frage und wolle eine Live-Übertragung der Ratssitzungen nach Vorbild anderer Kommunen tunlichst vermeiden (wir berichteten bereits über diesen Aspekt).

Laaser, Kroll und Göldner unterstreichen:

„Uns geht es um mehr Demokratie wagen und nicht darum, Bürger und Politik im Zaum zu halten, damit sie möglichst die Verwaltung nicht stören!“

Die drei Fraktionen haben gemeinsam Änderungsvorschläge für die künftige Geschäftsordnung des Rates erarbeitet. Ihr Ziel ist, die von Wigants Verwaltung angestrebten Einschnitte ins Informations- und Beteiligungsrecht nicht nur rückgängig zu machen, sondern darüber hinaus zu mehr Transparenz, Bürgerbeteiligung und sachlicher politischer Debatte beizutragen.

Denn:

„Letztlich geht es hier um eine Geschäftsordnung, die der Rat sich selbst gibt, nicht der Bürgermeister und seine Beigeordneten. Unser Souverän sind die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt.“

Sebastian Laaser, Ingrid Kroll und Klaus Göldner kündigen bereits jetzt an, die Kommunalaufsicht einzuschalten bzw. zu klagen, wenn die Geschäftsordnung in ihrer jetzigen Form verabschiedet werden sollte.

Hier die zentralen Kritikpunkte von SPD, WFU und FLU sowie ihre Gegenvorschläge:

  • Einwohnerfragestunde ausweiten statt beschneiden

Der Entwurf des Bürgermeisters sieht eine zeitliche Begrenzung der Fragestunde für Einwohner auf 20 Minuten vor (bisher 30).

Einem Bürger sind höchstens 2 Fragen erlaubt, die jeweils nur 1 Minute dauern dürfen. Persönliche Bewertungen zu städtischen Angelegenheiten sind nicht zugelassen. Ebenso darf die Sitzung nicht unterbrochen werden, um Bürgern bei Tagesordnungspunkten das Wort zu erteilen.

SPD, WfU und FLU bezeichnen diesen Paragraphen der neuen Geschäftsordnung als einen Skandal.

„Wir sollten in Zeiten allgemeiner Politikverdrossenheit jeden Menschen wertschätzen, der sich in die politische Debatte einbringt, und ihn nicht in dieser Weise gängeln“, so Sebastian Laaser.

Der Gegenvorschlag der drei Fraktionen: Die Einwohnerfragestunde stärken statt schwächen, indem man die zeitliche Begrenzung aufhebt und jedem Bürger allgemeine Fragen und auch Fragen zu jedem Tagesordnungspunkt gestattet. Andere Kommunen haben damit bereits gute Erfahrungen gemacht.

  • Rats-TV ermöglichen statt verhindern

Live-Stream von Ratssitzungen sieht die neue Geschäftsordnung ausdrücklich nicht vor – angeblich auf Wunsch aus den Fraktionen.

SPD, WfU und FLU setzen sich dafür ein, die Voraussetzunen für das so genannte Rats-TV zu schaffen – „als niedrigschwelliges Angebot, um politische Diskussionen in der eigenen Stadt verfolgen zu können“, so Ingrid Kroll. Konreter Vorschlag:

„Die Sitzungen des Rates (öffentlicher Teil) werden live als Medienangebot in Bild und Ton im Internet auf der Webseite www.unna.de zur Verfügung gestellt. Die Aufzeichnungen werden auch für späteres Abrufen verfügbar gemacht.“

  • Rechte der sachkundigen Bürger achten statt schwächen

Künftig sollen nach dem Willen der neuen Geschäftsordnung sachkundige Bürger in den Fachausschüssen keine Anfragen mehr an die Verwaltung stellen dürfen. Das trifft insbesondere kleinere Fraktionen, die zum Teil ausschließlich mit sachkundigen Bürgern in den Gremien vertreten sind, aber auch Institutionen wie den ADFC.

Die Verwaltung will diese Einschnitte mit der Gemeindeordnung begründen, dort heißt es allerdings wörtlich: „In der Arbeit der Ausschüsse sind Ratsmitglieder und sachkundige Bürger gleichberechtigt.“ Klaus Göldner betont:

„Wir sollten uns freuen über jeden Menschen, der sich ehrenamtlich engagiert und seinen Sachverstand in die politische Debatte einbringt.“

  • Mitteilungen der Verwaltung: Diskussion zulassen statt ausbremsen

Auf Mitteilungen der Verwaltung soll Ratsmitgliedern künftig nur noch eine Nachfrage erlaubt sein. Dieser Punkt ist für SPD, WFU und FLU inakzeptabel, solange der Bürgermeister weiterhin wichtige Themen nicht als Tagesordnungspunkt, sondern als Mitteilung in die Ratssitzung einbringt.

Ein aktuelles Beispiel dafür: aktuelle Entwicklungen in der Erstaufnahmeeinrichtung in Unna-Massen. Selbstverständlich müsse in solchen Fällen eine weitergehende Diskussion möglich sein, erklärt Sebastian Laaser.

  • Beratungsbedarf akzeptieren statt wegstimmen

Die Ehrenordnung, die die Politik der Stadt Unna sich 2002 selbst gegeben hat, sieht vor, dass der von einer oder mehreren Fraktionen angemeldete Beratungsbedarf zu einem Tagesordnungspunkt akzeptiert und die Entscheidung bis zur nächsten Ratssitzung vertagt wird. Das soll mit der neuen Geschäftsordnung geändert werden – ein Vorhaben, das SPD, FLU und WfU nicht mittragen. Die gute Sitte habe sich schließlich seit mehr als zwei Jahrzehnten bewährt.

  • Öffentlichkeit herstellen statt ausschließen

An gleich mehreren Stellen stellt die neue Geschäftsordnung die Weichen für weniger Transparenz. So soll es künftig allein dem Bürgermeister unterliegen, die Öffentlichkeit über Beschlüsse des Rates zu informieren. Schwammige Formulierungen würden es der Verwaltung zudem ermöglichen, die Öffentlichkeit nach eigenem Ermessen von den Sitzungen auszuschließen. Dazu die drei Fraktionen:

„Nichtöffentlichkeit kann sich nicht nur nach den Bedürfnissen der Verwaltung richten, sondern auch nach den Bedürfnissen der Bürger.“

  • Anträge kreativ prüfen statt aushebeln

Die neue Geschäftsordnung erklärt jeden politischen Antrag für „unzulässig“, der nicht mit einem Deckungsvorschlag aus dem städtischen Haushalt versehen oder auf Klimarelevanz geprüft ist. Für Klaus Göldner ist das der Versuch, unliebsame Anträge auszuhebeln.

Denn: Die ehrenamtlich tätigen Politiker und erst recht die kleinen Fraktionen hätten nicht die Zeit und die fachliche Expertise, diese Arbeit solide zu leisten – anders als das Rathaus mit Fachleuten und Gutachtern.

„Das ist Aufgabe der Verwaltung“, betont auch Ingrid Kroll. Gleichwohl sind sich SPD, WfU und FLU darin einig, dass finanzielle und klimarelevante Auswirkungen bei jedem politischen Antrag Beachtung finden sollten. Sie regen deshalb an dieser Stelle eine Umformulierung an. Das Wort „unzulässig“ müsse weg.

Weitere Kritikpunkte von SPD, WfU und FLU sind Einschnitte beim Rede- und Antragsrecht der Ratsmitglieder sowie Formulierungen, die es dem Bürgermeister als Sitzungsleiter ermöglichen, unliebsame Wortbeiträge und Anfragen zu unterbinden.

Der gesamte Entwurf der Geschäftsordnung ist Thema in der nächsten Sitzung des Hauptausschusses am 2. März. Verabschiedet werden soll er in der Ratssitzung am 9. März. HIER können Sie ihn nachlesen.

4 KOMMENTARE

  1. Volle Zustimmung der SPD, WfU und FLU.
    Offensichtlich sollen politische Vorgänge für die Bürger nicht transparent sein bzw. werden.
    Diesbezüglich ist nicht viel geblieben von dem Wahl Geschwätz.
    Zitat Dirk Wigant auf RB Unna 5.12.21: „Ich möchte Bürgerbeteiligung! Vor der Ratsentscheidung, bei allen wichtigen Themen, die die Bürger betreffen. Sie sind über das gesetzlich Notwendige hinaus frühzeitig mit einzubinden.“ Zitat Ende. Vielleicht soll sich der Bürger auch nicht auf ein Interview berufen können wenn er die Ratssitzungen verfolgen kann. Zitat D. Wigant: Um sie (die Aufgabe) zu bewältigen, verstehe ich mich als Teamplayer. Mit den Bürgern zusammen – und natürlich auch mit der Politik, wo wir dringend ein neues Miteinander brauchen und eine Streitkultur, die Andersdenkende nicht angreift, sondern einlädt. Zitat Ende.
    Dieser Entwurf der Geschäftsordnung ist eine Frechheit für jeden Bürger der sich für Lokalpolitik interessiert und ein Schlag ins Gesicht für die sachkundigen Bürger die uns vertreten.
    Transparenz, Offenheit und Ehrlichkeit in der Politik geht anders und dieser Entwurf nährt Politik Verdrossenheit da offensichtlich eigene, wie auch immer geartete Interessen, über dem Wohl des Bürgers stehen.
    Aktuelles Beispiel scheint offensichtlich die geplante Zerstörung der dörflichen Infrastruktur in Kessebüren zu sein.
    Im Interesse der Einwohner ist es nicht aber wessen Interesse denn dann??

  2. […] In der Sitzung selbst hatte Fraktionschefin Claudia Keuchel der Rats-Opposition aus SPD, WfU und FLU noch einen Rüffel verpasst, weil diese drei – in einem bisher in Unna einmalilgen Vorgang – den Entwurf aus dem Haus von Bürgermeister Dirk Wigant (CDU) gemeinsam in einer Pressemitteilung öffentlich massiv kritisiert hatten. […]

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