„Jetzt wird es einfach zu viel“ – Wenn der Traumberuf in der Arztpraxis nur noch müde, traurig und zornig macht

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Arztpraxis - Symbolbild, Quelle Pixabay

Einr Leserin, die aus persönlichen und beruflichen Gründen anonym bleiben möchte, schildert ihre Situation als Mitarbeiterin in einer Hausarztpraxis im Kreis Unna. Sie schrieb uns mit der Bemerkung an:

„Es werden mir viele aus meinem Beruf zustimmen, da bin ich mir sehr sicher.“

Julia K. (Name geändert) arbeitet seit knapp 15 Jahren als Medizinische Fachangestellte in einer kleinen Praxis für Allgemeinmedizin hier im Kreis Unna.

Sie teilt hier ihre Gedanken mit.

„Ich mache meinen Job eigentlich gerne. Ich liebe es, mit Menschen zu arbeiten.

Seit einem Jahr leben wir nun mit Corona. Es hat sich viel verändert. Und wenn ich ehrlich bin, macht mir mein Job keinen Spaß mehr.

Wir mussten einiges im Praxisalltag verändern, damit alles reibungslos funktionieren kann. Zu unserer normalen alltäglichen Arbeit kam seit letztem Jahr so einiges hinzu.

Normalerweise vereinbare ich Termine mit Patienten am Telefon und vor Ort. Ich betreue Patienten in der Praxis vor, während und nach der Behandlung. Es wird Blut abgenommen, Wunden werden versorgt, EKGs und Lungenfunktionstest durchgeführt. Außerdem führen wir die Vorsorgeuntersuchungen durch und OP-Vorbereitungen.

Wir stellen Rezepte und Überweisungen aus und telefonieren mit anderen Praxen zur Befundanforderungen und Terminabsprache, dass ist aber nicht alles, denn nebenbei läuft die Antragsbeantwortung vieler gestellter Anträge bei Ämtern von Patienten. Und noch sämtliche Abrechnungsarbeiten. Und Seelsorge durch ein offenes Ohr für die Patienten.

Damit ist in so einer kleinen Praxis, wie wir sie sind, schon allerhand zu tun. Da bleiben Überstunden und Wochenendarbeit nicht aus.

Das alles natürlich unbezahlt.

Wie gesagt, bisher habe meinen Job trotzdem gerne gemacht. Es gehörte halt dazu.

Aber jetzt wird es zu viel.

Letztes Jahr kamen die Einschränkungen wegen der Ansteckungsgefahr dazu. Das bedeutet weniger Platz im Wartezimmer und teilweise Patienten, die draußen im Regen stehen müssen, weil der Praxisablauf unvorhersehbar durch Notfälle oder ähnliches nicht eingehalten werden konnte. Zum Ärger der Patienten, die dieses natürlich an uns und nicht an dem Doktor auslassen.

Es wurde die Infektionssprechstunde eingeführt. Dadurch fällt entweder ein Vormittag oder ein Nachmittag mit Überstunden von der normalen Sprechstunde weg. Was auch viele ärgert. In sehr dringenden Fällen müssen akut Grippekranke zum Ende der Sprechstunde erscheinen und natürlich erstmal draußen warten.

Wer jetzt meint, das machen wir mit Absicht, um die Leute zu ärgern der täuscht sich gewaltig. Diese Leute tun mir leid. Ich weiß, wie schlecht man sich fühlt, wenn man richtig krank ist, und dann draußen bei Wind und Wetter zu stehen ist nicht schön.

Aber uns sind die Hände gebunden. Wir geben schon unser Bestes.

Irgendwann kamen die PCR-Testungen dazu. Noch mehr Arbeit, vor allem, da gefühlt täglich irgendwelche Änderungen dazu kamen. Testen ja… Testen nein. Neuer Schein hier… neuer Schein da… wieder mal eine andere Abrechnungsziffer wie gestern noch vorgegeben.

Bei Kontaktpersonen war zwischen uns und dem Gesundheitsamt ein Hin- und Hergeschiebe. Die Patienten waren zu Recht verwirrt und total im Unklaren, aber uns ging es nicht anders.

Wir mussten uns quasi stündlich auf dem Laufenden halten. Über Risikogebiete, ob die Tests übers Land laufen oder doch über die Krankenkasse oder sogar über andere Träger/Selbstzahler. Wie sieht es jetzt mit asymptomatischen Patienten aus, was ist mit Kontaktpersonen. Kostenlose Testungen für die Urlaubsreise letztes Jahr machten es nicht besser.

Und wisst ihr was. Das alles neben der normalen Sprechstunde zu organisieren und durchzuführen ist echt nicht zum Lachen. Viele denken, wir sind Sprechstundentanten. Sitzen da, telefonieren und trinken Kaffee. FALSCH GEDACHT. Grade jetzt während der Pandemie arbeiten wir an der vordersten Front. Wir entlasten Krankenhäuser und auch das Gesundheitsamt mit unseren Testungen.

Aber gewürdigt wird es kein bisschen. Statt dessen dürfen wir uns jeden Tag aufs Neue die Unzufriedenheit der Patienten anhören.

Mensch, wir machen auch nur unsere Arbeit und das nach Vorgabe von ganz oben.

Im Herbst letzten Jahres war Chaos wegen der Grippeimpfung. Zu wenig Impfungen für zu viele Anfragen. Wir haben nachbestellt und mit Wartelisten gearbeitet. Was war -> Verständnislose Patienten.

Jetzt sollen wir mit den Coronaimpfungen beginnen. Ha! Das stellt sich die Regierung ja wieder super einfach vor.
Neben der generellen Mehrarbeit noch mehr Arbeit.. ja klar, ist mein Job. Natürlich werden wir unseren Teil dazu beitragen und nach Ostern mit dem Impfungen beginnen, wenn sie denn wirklich geliefert werden. Aber……..
Das bedeutet organisieren, einarbeiten und jede Menge Ärger mit den Patienten.

Ich bekomme jetzt schon Angst, wieder arbeiten zu gehen. Dank des Gesundheitsamtes wird das Telefon, das seit Wochen nicht still steht, richtig heiß laufen. Dabei stehen wir selbst noch im Dunkeln.

Wir wissen selbst noch nicht, wie das organisiert werden kann ohne die normale Sprechstunde noch weiter einzuschränken.

Und es macht mich sauer, wenn ich lesen muss, dass der Kreis Unna jetzt alles auf uns die Hausärzte schiebt. Wie sollen wir das bitte alles noch schaffen?

Wozu gibt es das Impfzentrum, wenn jetzt wieder mal alles auf uns abgewälzt wird.

Ich bin einfach nur noch müde… traurig und sauer. Der Job macht mir keinen Spaß mehr.

Im Übrigen habe ich dank Corona und der vielen Arbeit zuletzt vor über einem Jahr Urlaub gehabt. Das heißt, die Praxis war zuletzt vor einem Jahr für 8 Tage geschlossen.

Als wir vor 3 Wochen die die erste AstraZeneca Impfung erhalten haben, ging es uns so schlecht, dass wir zwei Tage die Praxis schließen mussten. Ich bin wegen der kurzfristigen Impfung und trotz starker Impfreaktion in der Praxis gewesen, damit die Patienten ihre Unterlagen für OP-Vorbereitungen abholen konnten. Statt Dankbarkeit kam wieder nur Gemecker und Anraunzer.

Also wird es mich mit den Terminvereinbarungen für die Corona-Impfungen in unserer Praxis nicht wundern, wenn es demnächst richtig eskaliert. Wir sollen nach Prioritätenliste arbeiten… Aber wie genau, dass sagt uns auch keiner.

Ich musste das jetzt mal los werden.“

Julia K., Medizinische Fachangestellte

2 KOMMENTARE

  1. Für mich volles Verständnis und Respekt zu dem Bericht.
    Führt er doch vielleicht dem ein oder anderen Egoisten mal sein Verhalten vor Augen. (Fürchte allerdings nicht)
    Ich möchte mir nicht vorstellen wie viele Dumpfbacken heute versucht haben telefonisch die Praxen zu erreichen trotz der eindeutigen und nachlesbaren Hinweise auf den Internetseiten wer, wie, wann impfberechtigt ist und Nachfragen doch bitte ,wenn überhaupt, per Mail erfolgen sollen.
    Dass durch die Anrufe der Praxisalltag zum erliegen kommt und wirkliche Notfälle keine Chance haben auf ärztliche Hilfe scheint diesen Ignoranten und Egoisten egal zu sein.
    Des Weiteren auch hier wieder Totalversagen der verantwortlichen Politiker.
    Zuerst Konzentration auf die Zentren die teilweise geschlossen werden auf Grund fehlenden Impfstoffes, zum Anderen die Verantwortung nun auf Arztpraxen, wohl wissend auf zu geringe Impfstoffmengen und verbunden mit einem nicht vertretbaren bürokratischen Aufwand der pro Patient betrieben werden muss.
    Ein weiteres Armutszeugnis unserer Politiker!
    Allen Mitarbeitern in den Praxen meinen herzlichen Dank für die Einsatzbereitschaft die ich persönlich immer wieder erleben darf.
    Haltet die Ohren steif.

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