Bürgerbeteiligung wird momentan in Unna heiß diskutiert. Sei es der Bürgerentscheid zur Eissporthalle, den der Rat am Mittwoch (16. 6.) im Handstreich einkassierte, sei es die Bürgerumfrage zur Einzelhandelsansiedlung in Massen, deren Ergebnis – ein klares Pro zum neuen Lidl-Edeka-Doppel in Niedermassen – die Gegner des Projekts offen anzweifeln.
Da wie dort haben die Sozialdemokraten mitgewirkt. Die Diskussionen um den Sinn von Bürgerbeteiligung, wenn Ergebnisse vorher schon festzustehen scheinen, schlägt in der Kreisstadt hohe Wogen.
Bürgerschaftliches Engagement zeichnet auch Schwerte aus: seien es die zahlreichen Bürgerstiftungen, Vereine, Privatpersonen, die sich engagieren oder Bürgerinitiativen, die ihre Meinungen kundtun.
So funktioniert Bürgerbeteiligung nicht
Lukas Pohland 12. Juni 2021 18:23
Der Marktplatz. Foto: Alex Talash (Archiv)
Ein Kommentar von Lukas Pohland, Redaktionsleiter:
Lieber Herr Bürgermeister, liebe Kommunalpolitik,
nein, so geht Bürgerbeteiligung definitiv nicht. Und nein: eigentlich ist das auch gar keine Bürgerbeteiligung. Wer die Bürger vor vollendete Tatsachen stellt, indem er ihnen einen Nobel-Marktplatz vor die Nase setzen möchte, handelt nicht bürgernah, sondern arrogant. Es ist eine Farce, den Bürgern dann die Wahl der Pflasterart zu überlassen – bzw. eigentlich nur ein Stimmungsbild einzuholen. Denn abschließend wird wieder die Kommunalpolitik entscheiden.
Die Beteiligung von gerade einmal knapp 100 Bürgern zeigt auch kein eindeutiges Bild der Bürgerschaft. Im Gegenteil. Es suggeriert eher, dass sich die Bewohner unserer Ruhrstadt veralbert vorkommen.
Ähnliches zeigt sich bei den Bäumen, die auf dem Marktplatz gefällt werden sollen. Weil sie gefällt werden müssen, hieß es damals aus der Verwaltung. Mittlerweile hat man komischerweise zumindest teilweise “Kompromisse” gefunden. Seltsam. Gut, dass es eine Initiative gibt, die weiter um jeden Baum kämpfen will.
Insgesamt scheint bei der Verwaltung und Teilen der Kommunalpolitik jeder Mensch, der sich ehrenamtlich einsetzt, herzlichst willkommen zu sein. Wenn es dann aber um wirkliche Bürgerbeteiligung geht, möge aber bitte jeder den Mund halten und den Herrschern folgen.
Ein seltsames Verständnis von Bürgernähe, findet
Lukas Pohland
Lediglich ein Sozialdemokrat reagierte auf den Kommentar – und zwar mit einem „Hohn-Emoji“ auf Facebook.
Am nächsten Tag unterstich er in einer Debatte über Müll vor einem Ladenlokal seine Auffassung zu Schwertern und zur Bürgerbeteiligung mit folgendem Kommentar auf Facebook:
„Meckern können Schwerter viel 😂👍 Gründet sich wahrscheinlich direkt eine Bürgerinitiative gegen das Unternehmen 🤷🏼♂️😂“
Wir haben bei der Schwerter SPD-Fraktion und dem SPD-Stadtverband nachgefragt. Entspricht die Art und Weise der Herablassung über Bürgerbeteiligung und Bürgerinitiativen der Gesamtmeinung der SPD Schwerte-Fraktion und des Stadtverbands? Verfasst der Kommentator, auf seinem Profilbild mit SPD-Parteibuch erkennbar, die Kommentare im Namen der SPD Schwerte? Wenn nein: warum wird dies durch das Profilbild suggeriert? Wie bewertet die SPD bürgerschaftliches Engagement – insbesondere durch Bürgerinitiativen, die auch Kritik vorbringen – generell?
Auf die Anfrage hat der SPD-Stadtverband reagiert. Folgende Antworten übermittelt dessen Vorsitzende Sigrid Reihs. Wir veröffentlichen diese im Wortlaut:
- Insgesamt sind wir etwas irritiert, dass Sie sich veranlasst sehen, danach zu fragen, ob die Meinung eines einzelnen Parteimitgliedes als offizielle Parteimeinung in dieser Angelegenheit gewertet werden darf. Eigentlich ist es doch guter Brauch, dass Sie als Medienvertreter die offiziellen Gremien der Partei befragen, wenn Sie eine solche Meinung haben wollen. Und wie Sie schon selbst schreiben, ist es in den sozialen Medien – aber nicht nur dort – jedem Menschen freigestellt, seine bzw. ihre Meinung zum Ausdruck zu bringen.
- Wenn jemand in seinem Profilbild sein SPD-Parteibuch zeigt, dann bringt er damit zum Ausdruck, dass er ein SPD-Parteibuch hat, ob ein eigenes oder das einer anderen Person, überlässt er dabei der Phantasie derjenigen, die dieses Profilbild betrachten.
Im Übrigen gehen wir davon aus, dass Sie sich hinreichend in den Strukturen der SPD auskennen – wie auch aller anderen Parteien – , um zu wissen, welches Gremium bzw. welches Amt autorisiert ist, die offizielle Partei-Meinung zu äußern.
- Die SPD selbst ist bei ihrer Gründung vor mehr als 150 Jahren selbst aus so etwas wie einer Bürgerinitiative entstanden – auch wenn die damaligen Herrschaftsformen diese Art des bürgerschaftlichen Engagements noch unter hohe Gefängnisstrafe gestellt haben. Insofern schätzen wir als älteste demokratische Partei in Deutschland das politische Engagement von Bürger*innen selbstverständlich. Und es gehört zur guten demokratischen Praxis, dass es dann einen Streit der Meinungen und der Argumente gibt. Michel Friedman hat ja gerade in jüngster Zeit ein Buch veröffentlicht, in dem er betont hat, wie wichtig dieser Streit für den Fortbestand der Demokratie ist. Dem können wir uns nur anschließen.
Darüber hinaus gehört auch zur Wahrheit, dass es in unserer repräsentativen Demokratie das hohe Gut der gewählten Vertreter*innen für die politische Arbeit in den Parlamenten gibt. Hier werden alle 4 oder 5 Jahre Menschen durch die Bürger*innen gewählt, um dort auf längere Zeit im Sinne des Ganzen zu entscheiden. So werden diese Mandatsträger*innen auch vereidigt. Und das Wohl des Ganzen steht manchmal im Gegensatz zu den Interessen einzelner Menschen oder einzelner Gruppen. Dieser Streit wird dann ausgefochten. Das ist u.E. eines der wichtigsten Kennzeichen unserer Demokratie.“
[…] unserem Bericht „Verhöhnung von Bürgerbeteiligung mit SPD-Parteibuch im Profil“ erreichte uns per Mail folgende […]