Der Beschluss ist unanfechtbar. Während NRW-Ministerpräsident Armin Laschet just vor zwei Tagen im Rahmen seines neu kreierten „Brückenlockdowns“ für bundesweite Ausgangsbeschränkungen plädierte (und damit eine Kehrtwende vollzog), ist das umstrittene Instrument heute (7. April) im benachbarten Bundesland Niedersachsen gekippt worden.
Ausgangsbeschränkungen seien als „ultima ratio“ nur dann statthaft, wenn alle bisherigen Maßnahmen nicht mehr griffen. Und: derart einschneidende Maßnahmen lediglich auf Verdacht ließen sich in diesem fortgeschrittenen Stadium der Pandemie nicht mehr rechtfertigen.
So urteilte der 13. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts mit Eilbeschluss vom heutigen Tag und bestätigte damit das erstinstanzliche Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 2. April 2021 (Az.: 15 B 2883/21). Die in der Allgemeinverfügung der Region Hannover vom 31. März 2021 angeordnete Ausgangsbeschränkung ist demnach voraussichtlich rechtswidrig. (Az.: 13 ME 166/21).
In den Ausführungen des OVG Niedersachsen wird das Urteil dezidiert begründet:
Als Rechtsgrundlage für die nächtliche Ausgangsbeschränkung diente das Infektionsschutzgesetz. Die darin enthaltenen Voraussetzungen seien jedoch nicht erfüllt.
Die Ausgangsbeschränkung, so das OVG,
- … verstößt „gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“. Sie ist „nur in einem begrenzten Umfang geeignet, … die Bevölkerung vor der Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus zu schützen, die Verbreitung der Krankheit COVID-19 zu verhindern und eine Überlastung des Gesundheitssystems … zu vermeiden“. Sie sei „nicht erforderlich“. Ausgangsbeschränkungen seien als „ultima ratio“ nur dann in Betracht zu ziehen, wenn (andere) Maßnahmen … voraussichtlich nicht mehr griffen.
Das Gericht sieht keinen Beleg dafür, dass ohne die Ausgangsbeschränkung eine Eindämmung der Pandemie erheblich gefährdet oder sogar unmöglich sei. In Hochinzidenzkommunen seien ohnehin verschärfte Kontaktbeschränkungen gültig.
Zudem sei „nicht ansatzweise nachvollziehbar aufgezeigt“ worden, ob die behauptete mangelnde Einhaltung der Kontaktbeschränkungen durch Kontrollen verbessert worden sei.
Und es sei „nicht annäherungsweise“ belegt worden, in welchem Umfang die behaupteten „regelwidrigen nächtlichen Zusammenkünfte im privaten Raum“ tatsächlich stattfänden.
„Nicht nachprüfbare Behauptungen reichten zur Rechtfertigung einer derart einschränkenden und weitreichenden Maßnahme wie einer Ausgangssperre nicht aus. Insbesondere sei es nicht zielführend, ein diffuses Infektionsgeschehen ohne Beleg in erster Linie mit fehlender Disziplin der Bevölkerung sowie verbotenen Feiern und Partys im privaten Raum zu erklären.“
Nach mehr als einem Jahr Dauer des Pandemiegeschehens bestehe die begründete Erwartung nach weitergehender wissenschaftlicher Durchdringung der Infektionswege.
Der Erlass einschneidender Maßnahmen lediglich auf Verdacht lasse sich in diesem fortgeschrittenen Stadium der Pandemie jedenfalls nicht mehr rechtfertigen.
Um spätabendliche Treffen junger Menschen an beliebten Treffpunkten in der Öffentlichkeit zu unterbinden, dränge sich geradezu ein anderes (weniger rigides) Mittel auf: Betretensverbote.
Die Ausgangsbeschränkung sei also
- weder erforderlich
- noch angemessen
- die mit ihr verbundene Freiheitsbeschränkung sei ganz erheblich, denn den betroffenen Personen werde für einen mehrstündigen Zeitraum an jedem Tag das Verlassen der eigenen Wohnung ohne triftigen Grund untersagt.
Die Ausgangsbeschränkung anzuordnen, um etwaige Defizite bei der Befolgung und nötigenfalls staatlichen Durchsetzung bestehender anderer Schutzmaßnahmen, insbesondere der Kontaktbeschränkungen, auszugleichen, sei jedenfalls solange unangemessen, wie von den zur Durchsetzung berufenen Behörden nicht alles Mögliche und Zumutbare unternommen worden sei, um die Befolgung anderer Schutzmaßnahmen sicherzustellen.
Bevor dies nicht geschehen sei oder bevor nicht feststehe, dass solche Maßnahmen nicht erfolgversprechend ergriffen oder verbessert werden könnten, erscheine es nicht angemessen, alle in einem bestimmten Gebiet lebenden Personen einer Ausgangsbeschränkung zu unterwerfen, nur weil einzelne Personen und Personengruppen die geltenden allgemeinen Kontaktbeschränkungen nicht freiwillig befolgten.
Dies, zumal auch die Ausgangsbeschränkung der freiwilligen Befolgung oder nötigenfalls der staatlichen Durchsetzung bedürfte.
Dabei verkenne der Senat nicht, dass die Antragsgegnerin alleine nicht in der Lage sei, die erforderlichen aktiven Bekämpfungsmaßnahmen in die Wege zu leiten.
Bei der Frage der Angemessenheit einer Maßnahme seien aber die gesamten Möglichkeiten staatlichen Handelns in den Blick zu nehmen und der getroffenen Maßnahme gegenüberzustellen.
Der Beschluss ist unanfechtbar.
Er wird zeitnah in der kostenfrei zugänglichen Rechtsprechungsdatenbank der Niedersächsischen Justiz (www.rechtsprechung.niedersachsen.de) veröffentlicht.
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