„Verpiss dich, du hast in diesem Land nichts zu suchen“ – Kamenerin wendet sich gegen gewalttätigen Rassismus in ihrer Stadt

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Symbolfoto, Quelle Pixbay

„Am Sonntag, den 6. September 2020, sind wir mit Freunden und unseren Kindern auf den Spielplatz im neuen Sesekepark gegangen…“ So beginnt die eindringliche Schilderung von Katharina Dunker aus Kamen, die sich in einem konkreten Fall gegen offenen, gewalttätigen Rassismus in ihrer Stadt wendet.

Ein Post in einer Kamener Facebookgruppe, in dem sie sich zornig (mit entsprechenden emotionalen Ausdrücken) Luft machte, wurde dort wegen Verstoßes gegen die Gemeinschaftsregeln gelöscht. Unsere Redaktion nahm Kontakt mit Katharina Dunker auf und bat sie, ihre Beobachtungen für unsere Leserinnen und Leser zu schildern. Sie war sofort einverstanden.

Wir bedanken uns für ihre Offenheit und ihre Courage, namentlich hinter ihrem Appell zu stehen. Der Stadt Kamen danken wir für ihre sofortige Stellungnahme zu den geschilderte Vorfällen.

UPDATE 16. 9. – der junge Afrikaner wurde in die Stadt zurückgebracht, in der sein Asylverfahren läuft.

Katharina Dunker berichtet:

„Am Sonntag, den 6. September 2020, sind wir mit Freunden und unseren Kindern auf den Spielplatz im neuen Sesekepark gegangen. Unten am Wasser hatte es sich die bekannte ,Trinkerszene schon ,gemütlich´ gemacht und zeigte schon da eine erhöhte Agressionsbereitschaft. Sie bewarfen Enten mit Steinen und beschimpften eine Anwohnerin teilweise mit rassistischen Äußerungen, weil es ihr nicht gefiel, dass die Enten beworfen wurden.

Sie provozierten eine ganze Weile weiter und das so laut, dass unsere Kinder aufmerksam wurden. Nach einigen Minuten hatte sich diese Situation aufgelöst, aber man konnte deutlich erkennen das ,die Jungs´ immer noch sehr provokativ waren und eigentlich nur abwarteten, dass sie ihre Aggressionen irgendwo abbauen konnten.

Nach eine Weile bemerkten wir einen Mann in sehr schlechter Verfassung. Er war ungepflegt, seine Klamotten waren teilweise kaputt und beschmutzt und der Ärmel voller Blut. 🙁

Er setzte sich offensichtlich total erschöpft auf die Bank an der Rutsche im Park und wollte eigentlich nur IN RUHE seinen Stummel rauchen, den er irgendwo eingesammelt haben musste. Als er gerade dabei war, ihn anzumachen, wurde die Trinkerszene auf ihn aufmerksam und fing an, ihn erst aus Entfernung anzupöbeln und rassistische Äußerungen zu rufen wie zum Beispiel: ,Verpiss dich, du hast in unserem Land nichts zu suchen!“

Als er aber nicht reagierte, kam einer der Männer näher, hob seinen rechten Arm zum ,Hitlergruß´immer wieder in seine Richtung und rief rasisstische Äußerungen.

Naturlich wurden unsere Knder darauf aufmerksam. Wir versuchten mehrmals, für Ruhe zu sorgen, weil unsere Kinder verständlicherweise Angst bekamen. Wir sahen dann, wie die Gruppe der Trinkerszene auf den Mann zuging und einige direkt mehrmals auf ihn einschlugen, ihn bewarfen und beschimpften!

Der junge Mann sprang auf, schützte seinen Kopf und lief weinend weg.

Der Mann hat offensichtlich ein psychisches Problem und ist verdammt ängstlich und verstört! Ich denke, er hat eine Psychose oder Ähnliches durch das, was er wohl erlebt haben muss. Er ist offensichtlich Afrikaner, und wir haben die Vermutung, dass er eventuell aus Guinea oder Ghana kommt, denn er kann sich mit dem Sohn einer Freundin verständigen, der auch Afrikaner ist und ,Fulla´ spricht.

Leider ist es (uns) absolut nicht möglich, ihn zu verstehen, da er nur sehr sehr wenige Worte Deutsch oder Englisch spricht.

Als er weglief, gingen wir ihm mit Abstand hinterher, weil wir gehört hatten, dass die Trinkerszene das gleiche vorhatte, um ihn zu verletzen. Die Gruppe rannte dann auch hinter uns her und schrie dem jungen Mann immer wieder nach: ,Verpiss dich, geh weg, Heil Hitler…“ und so weiter…

Weil sich die Sitution immer weiter zuzuspitzen drohte, bin ich mit den Kindern einen anderen Weg gegangen, um sie aus der Schusslinie zu bringen. Meine Freundin, ihr bester Freund und mein Freund sind weiter hinterher gelaufen, um dem Afrikaner ,Geleitschutz´ zu geben. Mein Freund und meine Freundin machten denen eine Ansage zu deren Verhalten.

Der Brunnen am Kamener Marktplatz. / Foto RB

Wir setzten uns eine Weile an den Brunnen (wo nun auch die Trinkerszene wieder saß), um Präsenz zu zeigen, damit sie Ruhe geben. Meine Freundin ging zu einem der manchmal vorhandenen Ordnungsbeamten und schilderte diese Situation.

Sie begannen, nach dem jungen Mann zu suchen, und kamen mit ihm zusammen wieder zum Markt. Doch leider mussten wir feststellen, dass es sie nicht sonderlich interessierte. Ein Kumpel hat mir berichtet, dass die Leute vom Ordnungsamt schon mehrmals nicht eingegriffen haben, obwohl sie nur wenige Meter entfernt waren.

An dem Abend blieb alles ruhig … mehrere Leute von uns sind ab und zu ,Streife´ gelaufen, um nach ihm zu sehen und ihm im Notfall helfen zu können.

Am Montagmorgen, nachdem mein Freund und ich die Kleine zur Schule gebracht hatten, sahen wir ihn wieder durch die Stadt schlendern. Also beschloss ich, ihm etwas zu essen zu kaufen. Wir beschlossen, dass es besser wäre, wenn ich ihn erstmal allein anspreche, um zu sehen, ob er überhaupt bereit ist, mit jemandem Kontakt aufzunehmen, und da er immer wieder von Männern geschlagen wird, hat er vermutlich Angst.

Ich habe ihn angesprochen und er kam freundlich auf mich zu und begrüßte mich mit ,Hi Girl´. Er blieb stehen und redete mit mir. Ich bot ihm was zu essen an, doch leider lehnte er ab als er bemerkte das mein Freund näher kam. Ich sah deutlich die Angst und Scham in seinen Augen, er ging schnell weiter… Ich glaube, er hat einfach Angst, weil er nicht weiß, was auf ihn zukommt. Er wurde vermutlich immer erst normal behandelt und dann plötzlich verprügelt. 🙁

Mein Freund und ich beschlossen, dass wir nicht einfach so aufgeben wollen, und gingen später noch einmal in die Stadt. Wir hatten gemerkt, dass er gern Musik hört, also beschossen wir, uns in seine Nähe zu setzen mit Musik und ihn zu uns kommen zu lassen um ihn nicht zu bedrängen.

Er kam langsam näher und fing an zu tanzen und zu lachen :).

Es hat uns absolut nicht weh getan, uns einfach nur eine Zeitlang zu ihm zu gesellen! Denn das will er, Gesellschaft!

Nach einer Weile setzte er sich neben meinen Freund und sang einfach mit der Musik. Er hat uns weder belästigt noch irgendetwas anderes.

Ich gab ihm von mir aus eine Zigarette und eine Flasche Wasser, er bedankte sich höflich bei mir. Also warum zum Teufel wird er so schlecht behandelt?!

Desweiteren habe ich beobachtet, wie ein alter Mann ihn zu sich rief und ihm etwas Geld zusteckte. Der Junge lachte und umarmte den alten Mann dankbar und hatte dabei fast Tränen in den Augen.

Er versucht uns immer wieder etwas zu sagen, nur leider versteht er uns nicht und wir ihn nicht 🙁 Er braucht absolut Hilfe, aber hat durch diese ganze Tyrannei offenbar einfach nur noch Angst.

Am Montagmittag gingen mein freund und ich nochmal in die Stadt, um nach ,unserem Freund´ zu sehen. Er saß an der Bushaltestelle sichtlich erschöpft und hatte versucht, ein wenig zu schlafen 🙁

Wir haben uns demonstrativ gegenüber an die Büchereiecke gestellt, so das jeder sehen konnte, dass wir ihn im Auge behalten, damit er wenigstens mal eine halbe Stunde ungestört schlafen konnte, ohne mit Schlägen geweckt zu werden. Alle bemerkten, dass wir da waren, um ihm zu helfen. Wir haben uns auch absichtlich laut darüber unterhalten, um noch mehr Leute darauf aufmerksam zu machen, wie er behandelt wird und das man nicht wegschaut!

JEDER ist ein Mensch, egal ob schwarz, weiß, dick, dünn oder egal, ob Moslem oder Christ, JEDER hat das Recht auf Hilfe und darauf, dass er IN RUHE GELASSEN WIRD. Selbst wenn er so leben will, ist das kein Grund, ihn so schlecht zu behandeln.

Ich habe Nachrichten bekommen, wo die Leute meinten: ,Würdest du dich auch für Deutsche so einsetzen? Anderen Obdachlosen wird nicht so geholfen!“ Dazu sage ich nur: ,Deutsche Obdachlose werden in der Regel nicht SOOOO beandelt wie dieser junge Afrikaner! Und JA, ICH WÜRDE JEDEM HELFEN, DENN FÜR MICH IST ER KEIN AUSLÄNDER, SONDERN EIN MENSCH!

Ich war bis vor kurzem selbst obdachlos und weiß genau, was in einem Obdachlosen vorgeht, was auch in dem jungen Mann vorgeht.

Als wir also auf ihn aufpassten, bemerkten wir einen Jungen, offensichtlich Türke, Kurde oder etwas in die Richtung, der sich zu dem jungen Mann bewegte. Wir ließen ihn nicht aus den Augen und bemerkten, wie der Junge unseren Freund ansprach – ,hey bro´- und ihm was Warmes zu essen neben ihn stellte und ging :).

Ich hatte einen Post auf Facebook verfasst, der leider wieder gelöscht wurde…. aber der Post hat das bewirkt, was ich wollte, die Leute sind aufmerksam geworden! Dienstagabend, am 8. 9. 20, haben mein Freund, ich und zwei Freunde nochmal nach unserem Freund gesehen und fanden ihn auf einer Bank bei Middelberg. Wir setzten uns zu ihm und er begrüßte uns herzlich, wir spielten afrikanische Musik für ihn und haben einfach nur Zeit mit ihm verbracht. Immer wieder kamen Menschen an uns vorbei und guckten uns irritiert und zum Teil angeekelt an. Leider ist sich hier jeder selbst der Nächste!

Heute werde ich wieder nach ihm sehen und das so lange, bis er in Ruhe gelassen wird.“

Die Stadtverwaltung Kamen schrieb uns auf unsere Bitte um Stellungnahme:

Die Stadt Kamen versteht sich weltoffen und tolerant und spricht sich deutlich gegen Gewalt und Rassismus jedweder Art aus. Den von Ihrer Leserin geschilderten Vorfall verurteilen wir daher aufs Schärfste und gehen aber von einem Fall aus, der sich hoffentlich als Einzelner herausstellt.

Wir haben mit dem Inhaber des Sicherheitsunternehmens Kontakt aufgenommen, das an den Wochenenden und in den Abendstunden im Auftrag der Stadt Kamen den Ordnungsdienst versieht. Dort wurde uns mitgeteilt, dass der Vorfall grundsätzlich bekannt sei, allerdings konnte der Mitarbeiter zu dem Zeitpunkt seiner Beteiligung keine rassistischen oder nationalsozialistischen Äußerungen feststellen.

In solchen Fällen ist auch dringend angeraten, die Polizei zu informieren, da solche Straftaten nur durch die Polizei verfolgt werden können und der Ordnungsdienst keine Handlungsvollmacht besitzt. Auch sollte aus Gründen des Selbstschutzes dringend von eigenen Handlungen wie „Streifgängen“ abgesehen werden. Hier ist immer ein Anruf der Notfallnummer 110 zwingendes Mittel der Wahl.

Bei dem Betroffenen handelt  sich unserer Vermutung nach um eine Person, die als nicht sesshaft und nicht in Kamen gemeldet bekannt ist. Das zuständige Ausländeramt des Kreises Unna ist derzeit in enger Abstimmung mit der Stadt Kamen um diesen Fall bemüht. Wenn akuter Handlungsbedarf besteht, wird die Stadt Kamen hilfsweise tätig werden, da eigentlich die Gemeinde, in der er gemeldet ist, zuständig ist.

Menschliche Zuwendung und Nähe sind eigentlich eine Selbstverständlichkeit, aber trotzdem möchte ich mich persönlich an dieser Stelle auch für die Intervention und das zivile Engagement Ihrer Leserin bedanken, verbunden mit dem Hinweis und der Bitte, auch bei allen gutgemeinten Aktionen immer die Verhältnismäßigkeit und den Selbstschutz zu beachten.

3 KOMMENTARE

  1. Und ich werde ihm weiter helfen…
    Mir egal wer an dieser Sache zweifelt oder sonstiges….
    Desweiteren werde ich niemals wegschauen
    Wenn ein Mensch egal welcher Nation oder ein Tier schlecht behandelt wird….
    Der aggresör wird das selbe durchmachen wie das Opfer und genau zu diesem Wort stehe ich!

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