„Allzu sorglos und nachlässig“ – Landrat fürchtet „sehr schwierigen Herbst und Winter“

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Bildquelle: Pixabay

Michael Makiolla, scheidender Landrat des Kreises Unna, befürchtet in puncto Corona einen „sehr schwierigen Herbst und einen sehr schwierigen Winter“.

Heute, am 1. 9, ist mal wieder ein Minus zu verzeichnen. Dennoch gibt es auch wieder neue Infizierte.

Nur noch 2 stationäre Behandlungen in Krankenhäusern – das ist die gute Nachricht. 14 weitere Gesundete – die andere gute Nachricht. Und im Vergleich mit gestern sind die Fallzahlen im Kreis Unna wieder gesunken.

Dennoch hat sich die Zahl der aktuell Infizierten in den letzten Tagen und Wochen wieder auf dreistelligen Werten bewegt.

In der heutigen Kreistagssitzung äußerte Landrat Michael Makiolla dazu eine Vermutung. Er gab zum zweiten Mal einen umfassenden Bericht zur aktuellen Situation im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie im Kreis.

Dabei gab er seiner Vermutung Ausdruck, dass die wieder steigenden Infektionszahlen mit einem allzu sorglosen oder nachlässigen Umgang mit Abstand, Hygiene, Alltagsmaske zu tun haben könnten. Dass das Corona-Virus vollständig in der „Mitte der Gesellschaft“ bzw. in der „Mitte des Lebens“ angekommen und nicht mehr nur ein Problem der vermeintlich „Älteren“ sei, verdeutliche auch das Durchschnittsalter der Infizierten: Lag das Durchschnittsalter in den ersten drei Monaten der Pandemie (März, April, Mai) noch bei 54,0 Jahren, ist es in den in den letzten drei Monaten (Juni, Juli, August) auf 34,4 Jahre gesunken.

Makiollas Rede lesen Sie leicht gekürzt im Anschluss an die Fallzahlentabellen im Wortlaut.

Aktuell Infizierte

 31.08.2020 | 16 Uhr01.09.2020 | 16 UhrDifferenz (+/-)
Bergkamen1412-2
Bönen99+0
Fröndenberg1011+1
Holzwickede33+1
Kamen65-1
Lünen3232+0
Schwerte1713-4
Selm22+0
Unna1210-2
Werne33+0
Gesamt108100-8

Gesundete

31.08.2020 | 16 Uhr01.09.2020 | 16 UhrDifferenz (+/-)
Bergkamen101104+3
Bönen4545+0
Fröndenberg141141+0
Holzwickede3838+0
Kamen4243+1
Lünen227231+4
Schwerte147151+4
Selm6565+0
Unna99101+2
Werne108108+0
Gesamt10131027+14

Rede von Landrat Michael Makiolla im Kreistag am 1. 9. 2020

Die Corona-Pandemie hält die Menschen und das öffentliche Leben im Kreis Unna nach wie vor im Griff.
Und das wird auch in den kommenden Monaten so bleiben!

Nach meiner tiefsten Überzeugung stehen wir alle vor einem sehr schwierigen Herbst und einem sehr schwierigen Winter.
Seit dem 01. März 2020 haben sich im Kreisgebiet insgesamt 1.163 Menschen infiziert, von denen die
Kreisverwaltung Kenntnis hat. 42 dieser Personen sind seither verstorben. 1.025 sind genesen, so dass
wir Stand heute 96 aktuell Infizierte Personen im Kreis Unna verzeichnen.

Das Dunkelfeld dürfte allerdings deutlich höher liegen. Ich halte daher nach wie vor an meiner
Zielvorgabe für die Kreisverwaltung fest:

 Oberste Priorität bei der Arbeit aller Organisationseinheiten und Dienststellen hat der Kampf
gegen die Ausbreitung des Corona-Virus.
Alle anderen Ziele treten dahinter zurück!

Zum Zeitpunkt der letzten Sitzung des Kreistages am 23.06.2020 waren die Auswirkungen des Ausbruchsgeschehens bei der Firma Tönnies in Rheda-Wiedenbrück auch im Kreis Unna auf ihrem Höhepunkt. Von den über 30 im Kreis Unna lebenden Tönnies-Mitarbeitern hatten sich neun Personen mit SARSCoV-2 infiziert. In den Familien der Tönnies-Mitarbeiter steckten sich weitere zwölf Menschen mit SARSCoV-2 an. Nachdem die Infektionsketten im Zusammenhang mit der Firma Tönnies erfolgreich unterbrochen werden konnten, war das Infektionsgeschehen im Kreis Unna bis in die dritte Juli-Woche eher unauffällig.

Ab Ende Juli dynamisierte sich das Infektionsgeschehen im Kreis Unna jedoch wieder ganz erheblich.
Mitte August hatte der Kreis Unna sogar eine unrühmliche Spitzenposition bei der sogenannten „7-TagesInzidenz“ (Anzahl der Neuinfektionen innerhalb von sieben Tagen je 100.000 Einwohner), die zu einer
Erwähnung im täglichen Lagebericht des RKI führte:
Die im Kreis Unna am 13.08.2020 verzeichnete 7-Tages-Inzidenz von 27,4 (Quelle: RKI) war an diesem
Tag lediglich in zwei Bezirken in ganz Deutschland höher.

„Die eine“ Ursache für den drastischen Anstieg an Neuinfektionen im Juli und August gibt es nicht. Aus
der Dokumentation und den Statistiken des Gesundheitsamtes ergibt sich jedoch, dass
 infizierte Reiserückkehrer zwischenzeitlich rund 20 – 25 Prozent der aktuell infizierten Personen
ausmachten,
 Ausbrüche in einer Altenpflegeeinrichtung in Werne und in einer Fußballmannschaft in
Bergkamen und
 diverse Infektionsketten im Zusammenhang mit verschiedensten Feierlichkeiten und
gemeinsamen Freizeitaktivitäten
ursächlich für den relativ hohen Anstieg der Fallzahlen waren.


Durchschnittsalter der Infizierten sinkt
In vielen Fällen liegt der Verdacht nahe, dass es zu Ansteckungen gekommen sein könnte, weil die
Menschen inzwischen zu sorglos und nachlässig mit der etablierten AHA-Regel des
Bundesgesundheitsministeriums (Abstand, Hygiene, Alltagsmaske) umgegangen sind.
Dass das Corona-Virus nunmehr vollständig in der „Mitte der Gesellschaft“ bzw. in der „Mitte des Lebens“
angekommen und nicht mehr nur ein Problem der vermeintlich „Älteren“ ist, verdeutlicht auch das
Durchschnittsalter der Infizierten.

Lag das Durchschnittsalter in den ersten drei Monaten der Pandemie (März, April, Mai) noch bei 54,0
Jahren, ist es in den in den letzten drei Monaten (Juni, Juli, August) auf 34,4 Jahre gesunken.
Bei den infizierten Reiserückkehrern, die in den letzten zwei Monaten registriert wurden, liegt das Durchschnittsalter sogar nur bei 27,8 Jahren.

Im Zusammenhang mit dem Thema Reiserückkehrer hier noch einige weitere Zahlen und Fakten:

Dem Gesundheitsamt sind bis heute rund 2.500 Reiserückkehrer mit Wohnsitz im Kreis Unna bekannt.
78 von ihnen hatten sich mit dem Coronavirus infiziert

und insgesamt 285 Personen mussten sich in Quarantäne begeben (entweder weil sie selbst infiziert waren, ihre Mitreisenden als Kontaktpersonen der Kategorie I galten oder kein negatives Testergebnis vorgelegt werden konnte).

Die meisten Reiserückkehrer-Infektionen sind derzeit auf Aufenthalte in der Türkei (teilweise Risikogebiet), Kosovo (Risikogebiet), Kroatien (teilweise Risikogebiet) und Bosnien (Risikogebiet) zurückzuführen.


Die hohe Anzahl an laborbestätigten Neuinfektion im Kreis Unna ist aber auch auf einen anderen
Umstand zurückzuführen. Das Gesundheitsamt des Kreises Unna arbeitet stringent nach den Vorgaben
und Richtlinien des RKI!

Dazu gehört, dass nach wie vor das Hauptaugenmerk bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie in der
lückenlosen Nachverfolgung der Kontakte aller infizierten Personen liegt. Dass die Testung der in vielen Fällen asymptomatischen Kontaktpersonen sinnvoll und notwendig ist, kann leicht anhand einer Zahl belegt werden:

65 Prozent aller Personen, die im Zeitraum von Mitte Juli bis Mitte August durch das Gesundheitsamt positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden, sind zuvor schon als Kontaktpersonen der Kategorie I eingestuft und damit bereits unter Quarantäne gestellt worden.

Immer wieder wird gefragt, wie viele Personen im Kreis Unna denn überhaupt bis jetzt getestet worden
sind.
Eine umfassende Antwort darauf gibt es nicht, denn neben dem Gesundheitsamt testen auch die
Krankenhäuser und die niedergelassenen Ärzte – und über die negativen Testergebnisse dort wird das
Gesundheitsamt im Regelfall nicht informiert.

Allein das Gesundheitsamt des Kreises Unna hat jedoch seit Anfang März rund 9.000 Testungen auf
SARS-CoV-2 durchgeführt

in der Frühphase der Pandemie hauptsächlich bei symptomatischen
Personen und später zunehmend bei asymptomatischen Kontaktpersonen von Infizierten, vor der
Aufnahme in Pflege- und Reha-Einrichtungen sowie im Rahmen von „Reihentestungen“, beispielsweise
bei Ausbrüchen in Pflegeeinrichtungen, Schulen und Kindergärten.


Übernahme von Kosten weiter ungeklärt
Nach wie vor haben wir aber keine Antwort – weder von der Kassenärztlichen Vereinigung noch vom
MAGS NRW – auf die Frage, wer die bei uns von Anfang März bis Mitte Mai entstandenen Kosten in
Höhe von etwa 120.000 Euro (Berechnung: 2.000 Tests x 59 Euro) für die Testung symptomatischer
Personen, für die eigentlich die niedergelassenen Ärzte zuständig gewesen wären, erstattet.
Wie sinnvoll es war, noch vor den Sommerferien in die Qualifizierung von rund 50 zusätzlichen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus der Gesamtverwaltung für die Kontaktnachverfolgung einzusteigen,
hat sich in den vergangenen Wochen deutlich gezeigt.


Die sukzessive erfolgten Lockerungen der Kontaktbeschränkungen haben dazu geführt, dass die
Menschen wieder ein ganz anderes Freizeitverhalten an den Tag legen – mit der Folge, dass fast jeder
Infizierte wieder deutlich mehr und engere Kontakte im Familien-, Freundes-, und Bekanntenkreis, auf
Partys, bei Feiern, beim Sport sowie bei anderen Zusammenkünften als zu Zeiten des „Lockdowns“ hat.


Die damit einhergehende Kontaktnachverfolgung kann deshalb auch nur mit Einsatz von Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern über das Stammpersonal des Gesundheitsamtes hinaus gelingen. Diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fehlen natürlich an anderer Stelle in der Kreisverwaltung und beeinträchtigen so die Arbeit in diesen Organisationseinheiten.

Trotz aller Unsicherheiten und Unwägbarkeiten, die die Corona-Pandemie vom ersten Tag an mit sich gebracht hat, gilt es jetzt, dass der Kreis Unna sich für die kommenden Monate wappnet und aufstellt. Unsere lokalen Testkapazitäten, die wir in erster Linie für die Testung von Kontaktpersonen und für die Testung im Rahmen von Aufnahmen in Pflege- und Reha-Einrichtungen vorhalten, müssen weiter professionalisiert und ausbaufähig gemacht werden. Aus diesem Grund errichten wir neue und barrierefreie Testzentren in der Kreissporthalle I in Unna sowie in Containern am Kreishaus in Lünen, die in Kürze die „Provisorien“ in den Liegenschaften des Gesundheitsamtes ablösen sollen.



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