Video über vermeintlichen Pädophilen: Das Recht zur Selbstjustiz?

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Ein Mann, man hört seine zornige, erhobene Stimme, geht mit laufender Videokamera an einer Straße entlang auf ein Auto zu, das dort parkt. Die Videokamera schwenkt auf das Nummernschild – ein UN-Kennzeichen für den Kreis Unna.

Die Kamera verweilt dort einen Augenblick. Das Kennzeichen ist voll sichtbar, soll sich allen Zusehenden einprägen.

Dann schwenkt die Kamera zum Fenster des Wagens. Im Auto sitzt ein Mann am Steuer. Der Filmer hält direkt auf ihn drauf und beginnt gleichzeitig wüst auf ihn einzuschimpfen, wird augenscheinlich auch handgreiflich.

Dann endet das Video ziemlich abrupt.

Bei dem Mann im Wagen soll es sich um einen vermeintlichen Pädophilen handeln. In dem kurzen Filmdreh wird das so behauptet, als Tatsache dargestellt. Einen Beleg, Beweis gibt es dafür nicht.

Die Behauptung genügt, um dieses Video in Rekordgeschwindigkeit durch die sozialen Medien zu katapultieren, wo es inzwischen seit Tagen bereits zigtausendfach geteilt und hochemotional diskutiert wurde und weiterhin wird. Die Reaktionen reichen von Beifall für den Videoersteller bis hin zu martialischen Gewaltandrohungen gegen den Mann im Auto. Auch auf der Facebookseite der Kreispolizeibehörde Unna selbst gibt es eher wenige mahnende Stimmen, die zu Besonnenheit appellieren, eindringlich vor Selbstjustiz und ihren möglichen Folgen warnen.

Der ganz überwiegende Teil der User ist dre Meinung: Dieses Video sei nicht nur gerechtfertigt, sondern  absolut notwendig und überfällig, denn hier gehe es um den Schutz potenzieller kindlicher Opfer, und ein solcher Täter habe damit sein Recht auf rechtsstaatliche Behandlung verwirkt.

Die Polizei „tut doch sowieso nichts“, wird der Kreispolizeibehörde Unna auf ihrer Facebookseite vorgeworfen. Dort macht sie das Video am Freitagabend selbst zum Thema.

Sie schreibt in ihrem Post:

„Sehr geehrte Leserinnen und Leser der Facebookseite der Kreispolizeibehörde Unna,

in den letzten Stunden wurde, insbesondere im Kreis Unna, ein Video geteilt, das eventuell einen strafrechtlichen Hintergrund hat. Wir sind über diesen Sachverhalt informiert und die Ermittlungen laufen. Bitte helfen Sie uns und teilen Sie dieses Video nicht weiter. Wir leben in einem Rechtsstaat und handeln bürgerorientiert, professionell und rechtsstaatlich. Melden Sie verdächtige Feststellungen über den Notruf der Polizei 110.“

Wir teilten dieses Posting auch auf der Facebookseite von Rundblick Unna. Mit der kurzen Erläuterung, dass auch uns dieses Video am Freitag mehrfach zugeleitet wurde – zweimal mit der Bitte, es zu posten, dreimal aber auch von entsetzten Leser/innen, die über solcherart Selbstjustiz fassungslos waren: „Schaut euch das mal an – das geht doch nicht!“

Nein, so geht es definitiv nicht.

Wir informierten telefonisch die Unnaer Polizei über dieses Video (die dankend erklärte, sie habe schon durch andere Hinweise Kenntnis davon bekommen, die Kripo sei dran) und verlinkten den Post der Kreispolizei auf unserer Facebookseite. Mit der kurzen Erklärung, was es mit diesem Video auf sich hat:

„Es ging um ein privates Video, in dem ein angeblicher!! Pädophiler im Auto sitzend gefilmt (mit voll erkenntlichem Nummernschild) und vom Ersteller des Videos wüst beschimpft wurde. Und tätlich angegangen wurde. Die Kommentare ermunterten zum Teil zu Lynchjustiz.“

Hier einige Screenshots.

Die Reaktionen unserer Leser auf die Warnung der Kreispolizeibehörde und unsere kurze Erklärung zu den Hintergründen waren in der Mehrzahl nachdenklich, warnend oder sehr betroffen und erschrocken –

… so schrieb eine Leserin:

  • „Der Mann tut mir momentan echt leid, da er sich jetzt gar nicht mehr auf der Strassen blicken lassen kann? ich will das nicht schön reden,aber sollte er unschuldig sein,wird er sein Leben nicht mehr froh durch so eine Lüge?.“

Ein anderer Forist kommentierte:

  • „Find ich gut das es gelöscht wurde. Denn niemand hat wirkliche Beweise, dass der Mann sowas vorhatte, so ein doofes Video beweist gar nichts. Nur ein Typ, der im Auto gesessen hat und gewartet hat, auf wem wissen wir alle nicht, denn er hat sofort eine Schelle kassiert. Ich nehme keine Pädos in Schutz, aber dieses Video war kein Beweis für irgendwas.“

„Am schlimmsten ist“, schrieb eine andere Leserin, „dass die ,Verbreiter´ sich absolut keiner schuld bewusst sind und auch noch aggressiv reagieren, wenn man sie darauf anspricht. ?“

Und ein weiterer Leser stellt nüchtern die Frage:

  • „Ich hab mich sowieso gefragt, wie es genau dazu kam. Hat der Ersteller sich als 7-Jährige ausgegeben oder ist es beinahe seiner Tochter passiert? Und dann frage ich mich, was macht denn eine 7-Jährige so im Netz? Ich dachte, in dem Alter spielt man höchstens etwas und chattet nicht?! Finde ich ja schon recht interessant, weil ich unsere Entwicklung wohl komplett neu betrachten muss. Mich hat dieses Video also mehr verwirrt, als dass ich dazu kam, dem Text blind zu glauben.
    Dafür werden zu viele Fake News auf Facebook verbreitet und ich zerstöre keine Leben, ohne irgendetwas zu wissen. Da sollte so manch einer mal drüber nachdenken.“

Der Leiter der Pressestelle der Kreispolizei Unna, Bernd Pentrop, unterstrich gegenüber unserer Redaktion:

„Die Ermittlungen in diesem Fall laufen. Wir ermitteln – in alle Richtungen. Ein solches Video gehört nicht in soziale Netzwerke, sondern in die Hände der Polizei. Unsere Ermittlungen werden dadurch erschwert. Und die Verbreitung solcher Videos kann strafrechtlich relevant sein.“

Die rechtliche Seite: Teilen von persönlichkeitsrechtsverletzenden Inhalten (Beleidigungen, Verleumdungen, falsche Tatsachenbehauptungen, Schmähkritik, Personenbilder).

„Beim Teilen bitte den Kopf einschalten, sich mit den zu teilenden Inhalten kritisch auseinandersetzen und die Quelle zurückverfolgen.“

(Quelle: https://ggr-law.com/online-marketing-recht/faq/teilen-bild-artikel-link-video-facebook-rechtliche-gefahren-urheberrecht-persoenlichkeitsrecht/#c10767)

Wenn man fremde Artikel, Postings, Zeitungsberichte, Blogeinträge, Inhalte von Homepages etc. teilt, welche eine Persönlichkeitsrechtsverletzung gegenüber einen Dritten enthalten, kann man unter bestimmten Voraussetzungen für den geteilten Inhalt haften.

1. Vorliegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung

Der geteilte Inhalt muss die Persönlichkeitsrechte Dritter verletzen. Dies liegt bspw. immer dann vor, wenn in dem Beitrag

falsche Tatsachen Behauptungen – Beispiel:  A hat ein Kind sexuell misshandelt, obwohl dies nicht der Wahrheit entspricht;
Beleidigungen – Beispiel: A ist eine dreckige blöde Sau
Verleumdungen – Beispiel: wenn in dem Artikel bewusst Lügen verbreitet werden, die eine Person in Misskredit bringen können – A ist ein Nazi und Mitglied einer rechtsradikalen Vereinigung, obwohl dies nicht den Tatsachen entspricht. Ist A ein Beamter, kann er durch eine solche Behauptung seinen Beamtenstatus verlieren;

enthalten sind oder wenn

Bilder verbreitet werden, auf den Personen abgebildet sind, die nicht ihr Einverständnisfür die Verbreitung erteilt haben.

2. Zu eigen machen des rechtsverletzenden Inhalts

Es existiert noch keine gerichtliche Entscheidung zu der Haftungsfrage für das Teilen von rechtsverletzenden Inhalten auf Facebook. Aufgrund dessen muss man wohl die Grundsätze zur Linkhaftung anwenden. Hiernach haftet man für die Links auf fremde Inhalte, wenn man sich diese zu eigen macht.

Teilt man beispielsweise einen Artikel kommentarlos oder mit einem Kommentar wie „passt auf eure Kinder auf, ein Perverser ist unterwegs“, in dem zu Unrecht die Behauptung aufgestellt wird, das eine Person pädophil ist und sich an verschiedenen Kindern vergangen hat, macht man sich den rechtsverletzenden Artikel zu eigen.

Teilt man denselben Artikel mit einem kritischen Kommentar wie bspw. „Hier wird wieder jemand im Rahmen von privaten Fahndungsaufrufen ohne Beweise gemobbt“, liegt in aller Regel keine Haftung für den geteilten Inhalt vor, da man sich von diesem offensichtlich distanziert.

Wenn die oben angesprochenen Punkte erfüllt sind und sich der Verletzte gegen den Teilenden rechtlich zur Wehr setzt, kann eine Haftung für die geteilten Inhalte bestehen. In diesen Fällen besteht dann ein Anspruch auf Unterlassung und man kann kostenpflichtig abgemahnt werden.

Man muss sich bewusst machen, dass das zu schnelle Teilen von kritischen Inhalten durchaus ernste Folgen nach sich ziehen kann.

Man muss aber auch dazu sagen, dass bisher in der Praxis nur sehr selten Abmahnungen wegen des Teilens persönlichkeitsrechtsverletzender Inhalte vorkommen. Trotzdem sollte man beim Teilen von Inhalten seinen Kopf einschalten und sich im Vorhinein kritisch mit den Inhalten auseinandersetzen.“

….

V. Öffentlich oder Privat

Für die Frage, ob man für das Teilen von persönlichkeitsrechtsverletzenden Inhalten verantwortlich ist, kommt es nicht darauf an, ob man solch rechtsverletzende Inhalte nur privat (Freunde) oder öffentlich teilt. Eine Haftung besteht auch dann, wenn man solche Inhalte in einer WhatsApp Gruppe teilt.

Fazit

Die Gesetzeslage und die höchstrichterliche Rechtsprechung können wie so häufig dem technischen Fortschritt nicht folgen, so dass viele offene Fragen nicht abschließend beantwortet werden können. Erst dann, wenn es zu vermehrten Abmahnungen und Klagen kommt, ist die Rechtsprechung gefordert, für Klarheit zu sorgen, sofern der Gesetzgeber dieser nicht zuvor kommt.

Beim Teilen bitte den Kopf einschalten, sich mit den zu teilenden Inhalten kritisch auseinandersetzen und die Quelle zurückverfolgen.“

 

 

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