PR 2.0 in Unna oder Wenn der Bürgermeister samt Stellvertreter zur Wurst an der Dorfhütte lädt

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Symbolbild Meinungsbeitrag - Eselsbrunnen auf dem Unnaer Markt / Archiv: S. Rinke RB

Die Public Relation-Strategie der Stadtverwaltung Unna hat neuen Drive bekommen. Schon bevor das Rathaus bei der einzig verbliebenen Tageszeitung am Ort gar nicht mal dezent auf Einkaufstour ging und im Ergebnis kurz hintereinander zwei neue Fachkräfte für den Werbeauftritt in eigener Sache präsentierte, sah der Bürger plötzlich bei allen möglichen und auffällig vielen Gelegenheiten honorige Bedienstete seiner Stadt publikumswirksam in die Kamera lächeln.

Da hielt der Beigeordnete Sandro Wiggerich, inzwischen zum ersten Bürgermeisterstellvertreter aufgestiegen, unlängst beispielsweise ein Paket Kaffee in die Kamera mit der Botschaft, dass im Rathaus fortan aus fairen Beweggründen diese fair gehandelten Bohnen in die Tasse kämen.

Was dieser medial so auffällig gehypte Kaffee kostet, sparte die ansonsten ausschweifende Pressemitteilung aus dem Rathaus aus, also fragten wir nach. 6,50 Euro lautete die Antwort, bezog sich allerdings aufs 250-Gramm-Paket. Fürs Pfundpaket kam man demnach auf 13 Euro. Nicht wenig für ein Paket Kaffee, für eine Pressemitteilung in fairer Sache jedoch augenscheinlich irrelevant. Man nahm die Gewichtungen der städtischen PR zur Kenntnis.

Ebenfalls neu seit einigen Monaten ist zu beobachten, dass Spitzenpersonal aus dem Rathaus in wechselnden Kombinationen bei Geschäftseröffnungen aufmarschiert und mit Blumensträußen lächelnd in die Kameras der städtischen Pressesprecher hineingratuliert. Einmal kam der Erste Beigeordnete Wiggerich allein mit Blumen, das andere Mal der Kämmerer und Interims-Baudezernent Michael Strecker gemeinsam mit seinem Chef, dem Bürgermeister.

In wohlwollender Betrachtung erzeugen diese Bilder den Eindruck von Wertschätzung der Stadt Unna für den Mut, sich heutzutage (in Unna) an eine Gründung zu wagen. Weniger wohlwollend könnte man monieren, die Stadtspitze schmücke sich hier mit fremden Federn, aber gemeckert wird ja immer, vor allem in den sozialen Medien.

Wohl auch deshalb hat unsere Redaktion jüngst das offizielle Verbot ereilt, solche von der Stadt auf die städtische Facebookseite gepostete Bilder auf die reichweitenstarke Rundblick-Facebookseite zu übernehmen. Nein, auch nicht unter korrekter Quellenangabe (was für uns selbstverständlich ist). Dies kam für uns insofern überraschend, als solche Multiplikationen städtischer Mitteilungen seit Jahr und Tag gelebte Praxis waren, unter der früheren Stadtspitze wurde für diese Aufmerksamkeit sogar immer wieder gedankt. Aber so ändern sich die Zeiten.

Jedenfalls trug uns die Pressestelle der jetzigen Stadtspitze lediglich die „Erlaubnis“ zu, diese Postings von der Facebookseite direkt zu verlinken, also mitsamt anhängendem Text und Eigenwerbung der Stadt. Dies tun wir erstens grundsätzlich nicht, und zweitens bräuchten wir dazu keinerlei Genehmigung, weder von der städtischen Pressestelle noch von sonstwem, denn wer öffentlich etwas auf Facebook postet, lässt damit zwangsläufig Verlinkungen von Jedermann zu, ob ihm dieser Jedermann passt oder nicht. Es sein denn, er schränkt zuvor den Adressatenkreis ein. Aber das kleine Einmaleins von Social Media soll hier nicht das Thema sein.

Das Thema sollte hier eigentlich nur die kurze Ankündigung für unsere geneigte Leserschaft sein, dass zum Wochenbeginn erneut Bilder von Spitzenpersonal aus dem Unnaer Rathaus zu erwarten sind und dass es dazu sogar Würstchen gibt: Morgen Nachmittag, am Montag also, wird im beschaulichen Dorf Hemmerde eine neue „Jugendhütte“ offiziell eröffnet.

Neue Jugendhütte in Unna-Hemmerde. Foto Privat

Sie steht schon einige Tage und ist auch bereits mittels Sprühfarbe optisch variiert worden, wird nun aber am 5. Juni eben offiziell eröffnet. Und dazu geben sich der Bürgermeister und einer seiner Spitzenbeamten (es ist diesmal wieder Herr Wiggerich) erneut im Doppelpack die Ehre, sprechen, so vermuten wir es, wohl einige wohlfeile Worte über die lebendige städtische Jugendarbeit (in Hemmerde im Besonderen und in Unna im Allgemeinen), lächeln dazu in die Kameras anwesender Pressemitarbeiter, natürlich auch ihrer eigenen, und spendieren dazu Würstchen. Sollten diese nahrhaften Beigaben „kostenlos“ sein, was die Presseeinladung nicht verrät, spendiert diese Würstchen natürlich streng genommen der Unnaer Steuerzahler, aber wollen wir das mal nicht so kleinkariert sehen. Genörgelt wird eben immer.

Die Hemmerder dürfte so viel mediale Aufmerksamkeit für ihre neue Jugendhütte schmeicheln, sie sei ihnen auf jeden Fall gegönnt, nicht, dass hier Missverständnisse aufkommen. Für den kritischen Bürger, von der Stadtspitze gern als Nörgler beseufzt, bleibt gleichwohl die zweifelnde Frage im Raume stehen, was so ein ein PR-Termin für eine schlichte Holzhütte auf dem Dorf unter Beisein von Bürgermeister nebst Bürgermeisterstellvertreter zu bedeuten hat: Worin besteht die Aussage dieses Termins? Ist es Wertschätzung für die Unnaer Jugend, soll vielleicht die städtische Jugendarbeit endlich einmal gelobt werden, und sei es von der Stadt selbst, wenn es sonst schon niemand tut? Und haben ein Bürgermeister und ein 1. Beigeordneter einer Kreisstadt an einem Montagnachmittag nichts Wichtigeres zu tun?

Unserer Redaktion fehlt es da ein bisschen an Phantasie, aber genörgelt wird eben immer. Also Montag, 5. Juni, 16.30 Uhr, am Friedhofsweg 5. Wir wünschen guten Appetit und der Hemmerder Jugend, dies abschließend ganz ohne Ironie, viel Spaß mit ihrer neuen Jugendhütte!

  • Kommentiert von Silvia Rinke

4 KOMMENTARE

  1. Da die Stadt Unna für den Bürger ansonsten nichts positives und substanzielles zu berichten hat muss es eben eine Jugendhütte mit kostenfreier Bratwurst sein.
    Ein Foto zu den Baumaßnahmen zum Schulprojekt Brockhausplatz mit dem Untertitel „Kosten erst künstlich kleigerechnet, dann gänzlich aus dem Ruder gelaufen und leider immer noch kein schlüssiges Verkehrskonzept“ macht sich eben nicht so gut.

    Und ein Ausflug aufs Land ist doch ein wenig Abwechslung zu der tristen Büroarbeit.

  2. „Jedenfalls trug uns die Pressestelle der jetzigen Stadtspitze lediglich die „Erlaubnis“ zu, diese Postings von der Facebookseite direkt zu verlinken, also mitsamt anhängendem Text und Eigenwerbung der Stadt. “

    Hinzu kommt, dass es rechtlich mehr als problematisch ist, wenn öffentliche Behörden Informationen an ihre Bürgern mehr von einer Datensammelkrake in den USA anstatt von eigenen Internetseiten abhängig machen:

    https://datenschutz.hessen.de/datenschutz/internet-und-medien/facebook-seiten-von-oeffentlichen-stellen-auf-dem-pruefstand

    Schon als privater Bürger kann ich aus dem durchrastern der öffentlichen Metadaten
    von privaten Facebookeinträgen tiefenpsychologische Erkenntnisse über fremde Menschen gewinnen. Die Algorithmen und die Künstliche Intelligenz sind da natürlich noch viel weiter.

    „Schon der Besuch weniger Facebook-Seiten und mit Facebook verknüpfter Webseiten ermöglicht präzise Rückschlüsse auf beispielsweise Alter, Geschlecht, Herkunft, persönlichen Geschmack und möglicherweise sogar sensible Informationen wie sexuelle Orientierung oder politische Einstellung eines einzelnen Nutzenden. Je länger entsprechende Daten gesammelt werden, desto umfassender und genauer werden die Profile zur einzelnen Person.“

    Die Verbindung von Facebook (Instagram, Whatsapp) und der Tatsache, das viele fremde Internetseiten Nutzerdaten automatisch an Facebook weitergeben, erweitern diese Möglichkeiten.

    Die Zensur bei Facebookkommentaren wird von der Bundesregierung ausgeführt. Mit Geldern an das Unternehmen ARVATO, wo hunderte Mitarbeiter über das Netzwerk wachen. ARVATO ist wie der SPIEGEL, STERN, N-TV, RTL, RTL2, VOX, BERTELSMANN, BMG (das viertgrößte Musikunternehmen der Welt) oder RANDOM HOUSE (der größte Buchverlag der Welt) im Privatbesitz der Familie Mohn in Gütersloh. Die Familienpatriarchin Liz Mohn ist eine enge Wegbegleiterin der ehemaligen Bundeskanzlerin Merkel.

    Jedem ist es freigestellt, was er öffentlich von sich Preis gibt. Das ist auch ein Teil der Demokratie. Niemand sollte aber dazu genötigt werden und selber entscheiden können.

    Als jemand, der in keinem Netzwerk angemeldet ist, schätze ich die unabhängige Nachrichtenportalseite des Rundblicks sehr. Anscheinend werden hier nicht einmal Cookies eingesetzt, um die Zugriffsdaten der Leser zu analysieren um sie wie bei den meisten anderen Medien zu verkaufen. Der zusätzliche Auftritt auf Facebook ist nicht zu vergleichen mit dem Auftritt von Behörden, die rechtlich gesehen anderen Verpflichtungen unterliegen.

    (Aktuell sind für mich seit 2 Tagen öffentliche Facebookseiten mal wieder ohne angemeldet zu sein nicht einsehbar. Verlinkungen auf Facebookmitteilungen der Stadt daher auch nicht.)

    • Hallo Schmunzler, über einen netten Dank freuen wir uns immer. Das Problem, das Sie mit öffentlichen Facebookseiten beschreiben, kennen wir selbst. Schönen Gruß!

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