Ein grausames Verbrechen in einem Mehrfamilienhaus in Königsborn entsetzte im Sommer vergangenen Jahres unsere Leser. Ein 64-jähriger Mann wurde am Abend des 15. 07.2022 in seiner Wohnung an der Hermannstraße niedergestochen. Eine Zeugin hörte kurz zuvor einen lauten Streit, es wurde geschrien.
Dann passierte die Bluttat. Der 64-Jährige starb an zahlreichen Messerstichen.
Keine 48 Stunden später meldeten die Ermittler Erfolg. Die frühere Lebensgefährtin des Getöteten war festgenommen worden und hatte in ihrer Vernehmung eingeräumt, ihren Expartner am Tatabend mit mehreren Messerstichen getötet zu haben. Sie machte eine Notwehrsituation geltend.
Am gestrigen Dienstag traf das Landgericht Dortmund seine Entscheidung. Die Richter erklärten die 51-Jährige für schuldunfähig.
Ein Gutachter hatte bei der Angeklagten während des Prozesses bereits eine psychische Erkrankung festgestellt, berichtete Antenne Unna aus dem Prozess. Die Frau hat demnach Wahnvorstellungen.
So glaubt Jenny H. bis heute, ihr Expartner habe vorgehabt, sie und andere Frauen gemeinsam mit anderen Männern zu vergewaltigen. Dazu habe er sich einer Bruderschaft angeschlossen. Sie habe daher an jenem Juliabend in reiner Notwehr gehandelt.
Das Gericht urteilte, dass die Frau aufgrund dieser Wahnvorstellungen nicht in der Lage gewesen sei, ihr Verhalten zu steuern. Bis heute habe sie keine Einsicht in ihre Krankheit.
Da sie nach Auffassung der Richter eine Gefährdung für die Öffentlichkeit darstellt, muss sie jetzt in eine psychiatrische Klinik.
Rückblick auf den Sommer 2022.
Im Umfeld des grausam getöteten Königsborners taten sich seit der Bluttat eine Vielzahl von Frage auf. Ein Leser, dessen Identität wir anonym hielten, schilderte uns damals in einer Zuschrift, was ihn und weitere Bekannte des Opfers persönlich bewegte.
„Ich bin ein guter Freund und ehemaliger Arbeitskollege des Getöteten. Meine Arbeitskollegin ist die direkte Nachbarin und einzige Zeugin.
Wir haben die Bedrohungen gegen M. immer mitbekommen und kennen auch die Täterin.“
„Leider gibt es inoffiziell sehr merkwürdige Informationen von der Polizei“, beklagte der Exkollege. Ein mutmaßlicher Mittäter der Frau sei demnach wieder freigelassen worden, da er nur zufällig vor Ort gewesen sein soll. Das passe überhaupt nicht zu dem, was die Nachbarin miterlebt und ausgesagt hätte.
Auch sei M. seit Monaten von seiner Expartnerin und einem Mann mit Morddrohungen überzogen worden, schrieb der Exkollege. „Zu wissen, dass ein Beteiligter noch frei herumläuft, lässt einen nicht mehr schlafen.“
„Er gilt nicht als Mittäter und ist deshalb auf freiem Fuß“
Der zuständige Sprecher bei der Dortmunder Staatsanwaltschaft, Henner Kruse, erläuterte unserer Redaktion auf Nachfrage, wie sich zwei Wochen nach der tödlichen Messerattacke der Ermittlungsstand für die Staatsanwaltschaft darstellte.
Kruse bestätigte demnach, dass, wie von dem Ex-Arbeitskollegen erwähnt, ein weiterer Tatverdächtiger vorläufig festgenommen worden war. Dieser Mann habe am Tatabend den Vernehmungen zufolge die 51-jährige Expartnerin des späteren Opfers zu dessen Wohnung an der Hermannstraße begleitet.
„Sie wollte sich mit ihrem Expartner aussprechen. Der Begleiter sollte ihr zur Hilfe kommen, falls der Expartner gewalttätig werden würde“, gab der Staatsanwaltsprecher die Aussagen wieder. „Zum Eigenschutz hat sie demnach auch Pfefferspray mitgenommen.“
Der Begleiter sei an jenem Freitagabend nicht mit in die Wohnung gegangen, sondern habe draußen gewartet, bis er plötzlich Hilfeschreie von beiden gehört hätte. Er sei in den Hausflur gerannt und habe gesehen, wie die 51-Jährige auf den 64-Jährigen einschlug.
„Der Begleiter war vor Ort, war aber nicht mit in der Wohnung“, verdeutlichte Henner Kruse. Deshalb sei keine Inhaftierung dieses Mannes erfolgt. Er galt, so Kruse, nicht als Mittäter und sei daher auf freiem Fuß.
Über das, was sich am Tatabend in der Wohnung des Opfers abspielte, herrschte weitgehend Unklarheit. Denn es gab, so machte der Staatsanwaltsprecher die Problematik deutlich, eben nur diese zwei Beteiligten – und der eine der beiden ist tot.
So gab die Exlebensgefährtin etwa an, der 64-Jährige habe ihr selbst die Tür geöffnet und auf dem Sofa gesessen, als sie hereinkam; ob sie selbst noch einen Schlüssel für die Wohnung hat, ist noch nicht bewiesen bzw. widerlegt (das Paar hatte sich im Jahr zuvor getrennt).
Wer wen zuerst angriff und ob die 51-Jährige wie ausgesagt aus Notwehr mit dem Messer auf ihren Exfreund losging, war eine der wichtigsten noch offenen Fragen, auf die die Ermittler die in den kommenden Wochen und Monaten Antworten finden mussten. Auch, was es mit dem Knüppel auf sich gehabt hat, der (worauf es laut Kruse Hinweise gibt) ständig neben der Wohnungstür des Opfers deponiert gewesen sein soll – wenn ja, warum?
„Im Zweifel für die Angeklagte“, erinnert der Staatsanwalt an den Grundsatz der deutschen Rechtssprechung.
Zumal es inzwischen schon Hinweise auf eine psychische Erkrankung der Tatverdächtigen gab: Erst im Juni (wenige Wochen vor der Tat) wurde laut Kruse ein Verfahren eingestellt, das die 51-Jährige initiiert hatte, weil sie angeblich von ihrem Expartner und einem seiner Freunde vergewaltigt worden sei.
„Es waren erhebliche Zweifel an den Angaben der Frau sowie ihrer psychischen Gesundheit aufgekommen“, schildert Henner Kruse den Grund der Verfahrenseinstellung. Untermauert wurde dieser Eindruck von der Aussage des Sohnes, wonach seine Mutter „rationalen Gedanken überhaupt nicht mehr zugänglich“ sei.
„Es macht einen fassungslos – das war ein seit Monaten angekündigter Mord“
Der Exkollege des Getöteten kommentierte die Aussagen des Staatsanwaltes in einer weiten Zuschrift an unsere Redaktion wie folgt:
„Es macht einen schon ziemlich fassungslos, das zu lesen. Ich bin so frei, ein paar Hintergründe zu erläutern:
M. und seine Exfreundin hatten mehr so etwas wie eine Zweckgemeinschaft. Beziehung ist ein großes Wort dafür… Sie saßen halt nur abends zusammen.
Sie hat ihn allerdings beklaut und flog darauf hin natürlich raus.
Die Vergewaltigungsvorwürfe und Morddrohungen gegen M. und einen Freund von ihm waren dann die Retourkutsche.
Vorm Haus wurden auch regelmäßig die Reifen zerstochen. Können Sie sich jetzt den Knüppel hinter der Tür erklären?
Es gab keine Aussprache, M. wollte keinen Kontakt, erst recht nicht nach 23 Uhr. Nach solchen Vorfällen gibt es verständlicherweise nichts mehr zu bereden.
Außerdem ist die Aussage dahingehend falsch, M. hätte auf dem Sofa gesessen.
Er muss zum Öffnen an der Tür gewesen sein, und schnell zum Sofa kann er nicht. Er hatte ein schweres Rückenleiden und konnte kaum laufen. Niemals hätte er sie eingelassen.
Und warum verwundert es die Polizei nicht, dass die zwei Personen im (von Blut überströmten) Hausflur standen, aber nur die Nachbarin den Notruf alarmiert hat? Wenn er nur zufällig da war, warum keine Erste Hilfe und kein Notruf?
Jeder, der die Situation um M. und seine Expartnerin kannte, schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Das war ein Mord, der seit Monaten angekündigt wurde…
Dass sie aber nicht mehr zurechnungsfähig ist, glaube ich leider auch, selbst wenn es das Strafmaß reduziert.“
Für die Hinterbliebenen bleiben quälende Trauer und eine Vielzahl quälender offener Fragen.