Der sportliche 69-jährige Franzose, der am Montag in der Unnaer Fußgängerzone mit einer „Baumbesetzung“ von sich reden machte, hat bei unseren Leserinnen und Lesern teilweise Spott und Kopfschütteln, aber auch offene Anerkennung geerntet.
Während sich die Stadt laut Stadtsprecher Christoph Ueberfeld „rechtliche Schritte vorbehält“, können viele Leserinnen und Leser an dem friedlichen Umweltaktivisten durchaus Sympathien abgewinnen:
zum einen ob seiner Kletterkünste („wow, in dem Alter noch 6 Meter hohe Bäume hochklettern!“), zum anderen ob seines Mutes, ein Zeichen zu setzen wider Baumfällungen. So schrieb uns Grünen-Fraktionschefin Claudia Keuchel:
„Wir freuen uns, dass sich die Menschen in Unna immer mehr für den Baumschutz einsetzen.“
Anlässlich unseres Berichts über die Baumbesetzung in der Innenstadt macht Keuchel auf ein Gutachten aufmerksam, das, vor 5 Jahren erstellt, sich mit dem Thema „Bäume in der Unnaer Innenstadt“ befasst.
„Wir können keine Wunder vollbringen“, gesteht Keuchel ein. „Aber wir wollen mit diesem Gutachten dazu beitragen, mehr Grün in die Innenstadt zu bringen, dass auch dem Klima Stand hält.“
Biologe Götz Loos befasst sich in der Expertise mit der Frage, unter welchen Vorzeichen Bäume in Unnas Siedlungsgebieten künftig eingesetzt werden sollen und zugleich, wie Baum-Spontanaufwuchs berücksichtigt werden kann und sollte.
Als wichtige Thesen oder Leitgedanken nennt er die folgenden:
Bäume zeigen in ihrer Verwendungsmöglichkeit in Siedlungsgebieten eine Eignungs-Hierarchie:
Dabei sollte berücksichtigt werden, ob eine Baumsippe überhaupt geeignet ist, ob sie an einem
konkreten Ort geeignet ist bzw. wo generell geeignete Pflanzorte vorhanden sind. Daneben eignen
sich einige Baumsippen stets besser als andere; es können aber auch nur nuancierte Unterschiede
sein. Aus Übersichten bzw. Listen lässt sich eine derartige fein abgestimmte Hierarchie nicht wirklich
erkennen, hier wird also schon vorab eine Grenze der Möglichkeiten erreicht. Wichtig ist hier die
Einschätzung von den städtischen Fachleuten und Botanikern.
Die Verwendung von traditionell gepflanzten Baumsippen (Traditionsbäumen), die das Stadtbild
prägen, sollte nicht leichtfertig aufgegeben werden; bei geringerer Anpassungs-
/Verwendungsmöglichkeit können sie in der Häufigkeit reduziert werden, aber man sollte sie nicht
komplett verschwinden lassen – aus Sicht der Menschen stellen sie eine wichtige Identifikationsmarke
für die eigene Heimat dar. Mitunter werden fast bedrohliche Szenarien gezeichnet, besonders was
Rosskastanien, Platanen, Ulmen und Eschen betrifft. Es sollte aber besser abgewartet werden, ob
sich die Parasiten und Krankheiten wirklich ungehemmt ausbreiten oder irgendwann ein Punkt
erreicht ist, an dem sie sich hinsichtlich ihrer Häufigkeit „einpendeln“ oder sogar zurückgehen.
Andererseits können sich bei den betroffenen Baumsippen resistente Formen herausbilden. Dazu ist
allerdings der Mut erforderlich, langjährige Beobachtungen auszuführen anstelle alle Exemplare nach
und nach zu beseitigen.
Berücksichtigung von Baum-Spontanaufwuchs bei der Begrünung von Siedlungsgebieten:
Hierbei
handelt es sich vielfach um heimische Arten. So ist die Gewöhnliche Esche generell der häufigste
spontan aufwachsende Baum in Unna und im ganzen Ruhrgebiet innerhalb von Siedlungsgebieten.
Die Art ist heimisch in Unna, wobei aber nicht im Einzelnen stets beurteilt werden kann, ob die
Jungpflanzen von heimischen Herkünften oder von Verwilderungen her stammt.
Spontanaufwuchs tritt freilich an allen möglichen und unmöglichen Stellen im Siedlungsbereich auf.
Vielfach werden die Jungbäume bei Anlagen- und Beetpflege weggejätet. In Mauerwerk,
Hauswandfugen und auf Dächern ist Baumjungwuchs gewiss problematisch und kann dort nicht
dauerhaft geduldet werden. In Parks und auch im Unterwuchs von Alleen oder sonst an Straßen kann Baum-Spontanaufwuchs aber auch gefördert werden, z. B. durch gezielte Wahl einzelner Pflanzen
aus einem Pulk heraus, die dann weiter aufwachsen dürfen.
Altersabhängigkeit der Eignung von Bäumen:
„Man muss sich von der Vorstellung verabschieden, dass alle Baumexemplare in der Stadt ein hohes Alter erreichen können oder dürfen.“
Baumsippen mit generell günstigen Eigenschaften können im Alter problematisch werden, wenn die Krone auslichtet,
Äste trocknen und fallen u.ä. Für diesen Fall bietet sich eine Tandempflanzung an: Am Pflanzort eines
Baumes wird mit zeitlichem Abstand ein zweites, entsprechend jüngeres Exemplar gepflanzt: Wird
dann das ältere Exemplar gefällt, kann das zweite gewissermaßen die Funktionen des ersten
übernehmen. Nachteilig daran ist allerdings der Platzbedarf für einen zweiten Baum. Daher sind hier
stadtplanerische Maßnahmen nötig, um einen entsprechenden Platz zu schaffen. Auf lange Sicht wird
man in vielen Siedlungsgebieten nicht umhin kommen, umfangreiche Veränderungen in den
Siedlungen vorzunehmen – mit besonderer Berücksichtigung des Stadtgrüns.
Mit diesen vier Hauptthesen sollen neue Wege beschritten werden, um Stadtbäume zu pflanzen und zu
fördern. Diese Formen des Umgangs mit den Bäumen sollten einen Weg weisen, um Langfristigkeit und
Nachhaltigkeit zu bewirken sowie lokale und regionale Besonderheiten und Eigenheiten besonders zu
berücksichtigen. Es muss allerdings verstanden werden, dass es sich dabei nicht um „Selbstläufer“ handelt.
Bedeutend erscheint aber in erster Linie, dass die Begleitung von entsprechenden Maßnahmen durch ein Gremium erfolgt, das nicht nur mit den behördlichen Fachleuten besetzt ist, sondern zumindest örtliche / regionale Botaniker mit einbezieht, idealerweise zusätzlich Experten aus dem Forschungssektor des Baumschul- und Baumgärtnerwesens sowie Dendrologen. Immer wieder sei
daran erinnert: Wir sind hier in einer Experimentierphase, bei der sich durchaus noch Fehler oder Probleme
zeigen können.
Das gesamte Gutachten ist HIER zu finden.