Was macht die Krise mit den Kindern… „Liebe Eltern, wie bekommt ihr das alle hin?“

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Foto: Symbolfoto Foto: ©A. Reichert

Mehr Fehlzeiten, Desinteresse am Unterricht – Coronakrise verschärft Schulprobleme:

Unter dieser Überschrift veröffentlichten wir am 20. Januar einen Artikel, in dem die schulpsychologische Beratungsstelle des Kreises Unna besorgt auf die Folgen der wochenlangen Schulschließungen blickt. HIER.

Eine Leserin aus Fröndenberg nimmt in diesem ausführlichen Meinungsbeitrag zu dieser Problematik Stellung. Wir bedanken uns für ihre Bereitwilligkeit, ihren vollen Namen zu nennen.

Die Leserin schreibt:

„Am 20. 1. 2021 veröffentlichte Rundblick Unna einen Beitrag zum Thema: mehr Fehlzeiten, Desinteresse am Unterricht, Corona verschärft Schulprobleme. Als ich diesen Artikel las, kochte es in mir hoch und ich musste einfach mal was loswerden.

Erst einen Tag zuvor hatte ich mich mit einer Freundin darüber unterhalten, wie schlimm wir die derzeitige Situation finden.

Ich bin Erzieherin und arbeite Teilzeit an einer Unnaer Grundschule im offenen Ganztag. Vormittags betreue ich derzeit nicht nur mein eigenes Kind (11 Jahre ), sondern auch ihre Freundin (12 Jahre) aus derselben Klasse. Meine Freundin geht vormittags arbeiten und nimmt dafür die Kinder nachmittags. Wir haben uns bewusst dafür entschieden, unsere Kinder nicht in die Notbetreuung zu geben. Wir wollten unsere Kinder keiner zusätzlichen gesundheitlichen Gefahr aussetzen und sie, so gut es uns möglich ist, bei ihren Schulaufgaben begleiten.

Schulabsentismus, was für ein Wort! Wen wundert es, dass die Kinder überhaupt keine Lust mehr haben, sich tagtäglich von 7.50 bis 15 Uhr ans Tablet zu setzten und zu lernen? Der Leistungsdruck steigt, sowohl bei den Kindern als auch bei den Eltern.

Wie ich schon in meinem Kommentar auf Facebook äußerte:

Wenn ich das alles lese, weiß ich gar nicht mehr, womit ich anfangen soll. Ich bin gelernte Erzieherin und finde den derzeitigen Leistungsdruck, der auf die Kinder ausgeübt wird, unerträglich.

Wir sitzen hier ab 7.50 Uhr am Tablet. Stündlich fliegen neue Aufgaben rein, die nach meiner Ansicht einfach völlig überfordern. Sowohl inhaltlich als auch vom Pensum her. Zum Ende der Stunde soll abgeliefert werden, wer nicht abgibt, wird schlecht benotet.

Ich sitze die komplette Zeit mit am Tisch, auch während der Videokonferenzen, und ärgere mich, wie das läuft. Teilweise völlig chaotisch, mit Ansagen, die für eine 11-Jährige nicht nachvollziehbar sind.

Der Umgang mit dem Tablet ist eine Medienkompetenz, die manch Erwachsener nicht mal drauf hat. Hier soll mein Kind bereits gelernt haben, wie es in Onedrive Ordner und Dateien verwaltet. Es muss E-Mails abschicken, Word- und Acrobat-Dateien öffnen, bearbeiten und drucken, es soll pünktlich an Videokonferenzen teilnehmen und währenddessen Aufgaben bearbeiten.

Allein das Bedienen dieser Dinge ist schon eine starke Leistung. Das muss manch Studierender erst mal lernen, sich so zu strukturieren!

Ich bin sprachlos, wenn dann noch Aufgaben zurückgeschickt werden von den Lehrern, die nicht ordentlich genug oder nicht korrekt sind und verbessert werden sollen.

Zeitlich sitzen die Kinder sowieso schon mehr als eineStunde länger nach Unterrichtsschluss an den Aufgaben vom Tag. Den ganzen Tag vor einem Bildschirm, keine Bewegung, keine frische Luft, keine sozialen Kontakte!

Ehrlich gesagt, wundert es mich nicht, dass Kinder sich dann verweigern. Sprechen wir dann noch davon, wie sich Eltern in der Situation fühlen und welche Kompromisse sie eingehen müssen. Ich finde die Situation untragbar!

Liebe Eltern, wie bekommt ihr das alle hin?

Natürlich gibt es Kinder, die das super alleine zu Hause meistern. Aber was ich in den Videokonferenzen meiner Tochter mitbekomme, macht mich traurig. Da passen 11-Jährige auf ihre Geschwister auf, sind unbetreut und mit ihren Schulaufgaben alleine zu Hause.

Die Hemmschwelle der Kinder, beim Lehrer Hilfe zu holen scheint mir hier noch sehr hoch. Überhaupt ist die Nutzung des Tablets für viele der Kinder ungeübt und verbunden mit Hürden, die sie nicht alleine lösen können.

Ich denke da auch an die Kinder die sich mit ihren Geschwistern ein Endgerät teilen müssen. Oder an die Eltern, die zwischen unterschiedlichen Jahrgangsstufen inhaltlich switchen müssen. Was ist mit den Eltern, die vielleicht keinen so hohen Bildungsabschluss haben oder mit Migrationshintergrund und selbst mit den Aufgaben überfordert sind? Wie soll das funktionieren?

Aber nicht nur die Kinder und Eltern sind deswegen gestresst, auch die Lehrer haben teilweise Kinder zu Hause sitzen, müssen da helfen und gleichzeitig Unterricht leisten. Viele der Lehrer sind gar nicht so weit in den derzeit angewendeten Programmen ausreichend geschult und haben auch ihre Probleme. Jeder gibt derzeit sein Bestes, mit der Situation klar zu kommen.

Als Elternteil wünsche ich mir, dass nicht so viel Leistungsdruck auf die Kinder ausgeübt wird. Schule zu Hause ist kein regulärer Unterricht. Eltern sind keine Lehrer und können nicht auffangen, was derzeit gefordert wird.

Unsere Kinder brauchen Bewegung und frische Luft. Wo ist der bewegte Unterricht geblieben? Mathematik kann man auch draußen lernen. Lasst die Kinder doch mal das Einmaleins auf der Treppe rauf und runter hüpfen. Schickt die Kinder nach draußen, sie sollen Geraden, Parallelen und Senkrechte fotografieren. Naturwissenschaften erlebt man im Wald und auf der Wiese. Welche Vögel fliegen derzeit umher und welches Futter fressen sie?

Gesundes Frühstück muss man nicht nur theoretisch lernen. Stärkt die Kinder in alltagspraktischen Dingen. Lernen heißt nicht nur Unterrichtsinhalte abzuarbeiten am PC, sondern diese lebensnah umzusetzen. Damit schafft ihr es, eure Kinder aus der Frustration zu holen und wieder für das Lernen zu begeistern. Geht in Kontakt mit den Lehrern und macht Vorschläge, wie es besser klappen kann. Macht euch für eure Kinder stark!

Als Erzieherin bin ich übrigens auch erstaunt, wie viele Eltern eine Möglichkeit finden, ihre Kinder zu Hause zu betreuen. Eltern, die ihre Kinder in die Notbetreuung schicken, müssen aber kein schlechtes Gewissen haben. Seid euch sicher, dass auch dort eure Kinder bestmöglich betreut werden.“

  • Juliane Wenzel, Fröndenberg, Erzieherin in der OGS in Unna

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