Bundesweit wird zum 7. Juni die Impfpriorisierung aufgehoben, haben Bund und Länder beschlossen. Damit werden falsche Erwartungen geweckt, warnen die Hausärzte. Sie fürchten Chaos – auch wegen der Pläne zum digitalen Impfausweis.
Schon bei einer Leserumfrage auf unserer Facebookseite berichtete die Rundblick-Communitiy von den Impfungen in den Hausarztpraxen höchst Unterschiedliches. Von der Klage „man kommt seit Wochen nicht durch“ bis zu eitel Lob über reibungslosen und schnellen Ablauf ist alles dabei.
Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes, sieht durch den nun baldigen Wegfall der Priorisierung erst recht Chaos auf die Arztpraxen zukommen.
In einem Rundschreiben an die Hausärztinnen und Hausärzte legt der Allgemeinmediziner seine Befürchtungen dar:
„Die Belastungen für die hausärztlichen Praxen in der Corona-Pandemie sind enorm, für uns Ärztinnen und Ärzte wie auch für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. So schnell werden diese Strapazen auch nicht nachlassen. Es ist eine Anstrengung, die deutlich mehr Anerkennung vor allem aus der Politik verdient, als wir sie mit Ausnahme unserer Patientinnen und Patienten erfahren.
Kein Bonus für unsere Mitarbeitenden, obwohl sie keinen Deut weniger schuften als die Pflegerinnen und Pfleger im Krankenhaus. Alle Bemühungen auf Bundes- wie auf Landesebene haben bis jetzt nicht gefruchtet. Aber Jammern und Klagen hilft nicht und es gebührt Ihnen allen großer Dank für die weit über das erträgliche Niveau erbrachte Leistung!
Die Freigabe der Priorisierung stellt uns aktuell wieder vor große Herausforderungen, wir hätten uns gewünscht, diese Entscheidung wäre – vor ihrer Bekanntgabe in Presseerklärungen (sollte eine Wahl bevorstehen?) – mit uns abgestimmt worden, um die Sichtweise der Praxen einzubringen und den damit verbundenen großen Druck auf diese zu mindern.
Wir hätten einen eher allmählichen Prozess für vernünftig gehalten, aber Vernunft scheint nicht unbedingt immer gefragt zu sein. Ein vernünftiges Konzept haben wir auch für die Impfung der unter den Einschränkungen besonders leidenden Kindern und Jugendlichen eingefordert.
In dieser Gruppe ist vielleicht das Risiko der Erkrankung nicht so hoch, aber sie haben das höchste Risiko für Kollateralschäden! Sie können nicht einfach ans Ende der Schlange gestellt werden! Auch dafür brauchen wir in den Praxen den geeigneten Impfstoff in ausreichender Menge.
Es fehlt weiterhin an Impfstoff in den Praxen, vor allem der Impfstoff von BioNTech wird nach wie vor zunächst in die Impfzentren geliefert. Das kann zu Verzerrungen führen, weil dann über 60-Jährige in den Impfzentren mit BioNTech versorgt werden, der uns in den Praxen für jüngere Frauen fehlt.
Zudem wird ein großer Teil der Beratungslast in die Praxen verlagert, die vor allem bei dem AstraZeneca-Impfstoff erheblich ist. Wie fordern hier vehement, dass diese Beratung unabhängig von einer erfolgten Impfung auch vergütet wird, und zwar deutlich angemessener als bisher. Das ist mühsam, aber wir geben nicht auf.“
In einem Interview mit der WirtschaftsWoche untermauert der Hausärztechef seine Kritik:
„Statt nun einen spektakulären Stichtag zu setzen, hätte ich mir ein langsames Auslaufen der Priorisierung gewünscht. Denn nun werden falsche Erwartungen geweckt.“
„Die Telefone haben schon vorher nicht stillgestanden. … Wenn die Leute jetzt aber alle Praxen abtelefonieren und sich auf Listen schreiben lassen, ohne die Termine dann nach einer Zusage abzusagen, führt das zu einer enormen Belastung… Bei allem Verständnis für die Ungeduld vieler Menschen, sich nun endlich impfen lassen zu wollen, werden wir viele Impfwillige zunächst sicher auch enttäuschen müssen.“
„Es mangelt vor allem an BionTech. Den Impfstoff wollen alle haben, davon bekommen wir aber pro Woche gerade einmal 6 Fläschchen pro Praxis, das sind 36 Dosen. Die sind an einem Vormittag verimpft. Von Biontech bleibt nichts übrig.“
„Das beste Argument (für AstraZeneca) ist sicher, dass ich selbst mit AstraZeneca geimpft bin. Und wenn ich dazu erkläre, wie viel höher das Risiko einer Corona-Erkrankung ist und wie gering das Risiko von Nebenwirkungen bei AstraZeneca, kann ich den meisten Patienten auch ihre Sorgen nehmen.“
Die Beliebtheit von AstraZeneca dürfte allerdings kaum steigen mit Blick auf die Lockerungen, die für vollgeimpfte Menschen gelten sollen. Bis zum vollen Impfschutz dauert es bei AstraZeneca 14 Wochen. Österreich geht deshalb einen anderen Weg, dort gilt man schon nach der ersten Spritze als vollgeimpft. Ist das eine gute Idee?
„Ja … Ansonsten wird AstraZeneca erst gar nicht gewählt. Oder jemand will die zweite Impfung schon nach vier Wochen haben. Das ist aber nicht nur sinnlos, sondern kann sogar negative Effekte haben. Deshalb kann für AstraZeneca gerade ein positiver Anreiz gesetzt werden, wenn nach der ersten Spritze schon die gleichen Freiheiten gelten wie für diejenigen, die zwei Dosen Biontech oder Moderna bekommen haben.“
Zu Kindern und Jugendlichen:
„Sobald die europäische Zulassungsbehörde EMA die Impfstoffe für die Altersgruppe der 12- bis 15-Jährigen zugelassen hat, sollten die Kinder auch hierzulande entsprechend geimpft werden können.“
„Wichtig wäre es (auch) generell, etwa Menschen mit Migrationshintergrund besser zu erreichen. Mit mobilen Impfteams in den Hochhaussiedlungen allein wird das nicht gelingen.“
Und zum digitalen Impfpass – „wird das bis Juni klappen?“
„Ja, bis Juni 2030 ganz bestimmt. Im Ernst, ich sehe gerade nur Ankündigungen, die nicht zu schaffen sind bis Juni, also bis in zweieinhalb Wochen.“
[…] Auch die Hausärzte warten dringend auf mehr Impfstoff und sehen ab Montag ein Chaos voraus – … […]