Lesermeinung: Impffrust in der Hausarztpraxis aus Sicht des Personals

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Symbolbild Meinungsbeitrag - Eselsbrunnen auf dem Unnaer Markt / Archiv: S. Rinke RB

Erneut möchte eine Mitarbeiterin in einer Unnaer Hausarztpraxis ihren Frust über die derzeitige Impf-Politik loswerden. Ihr Name und ihre Kontaktdaten sind der Redaktion bekannt. Sie möchte aus triftigen Gründen anonym bleiben.

Karina B. schildert ihre Gedanken und Gefühle wie folgt:

„Ich bin MFA in einer kleinen Hausarztpraxis in Unna und mache diesen Job seit 26 Jahren.

In der örtlichen Zeitung war eine komplette Seite mit „Werbung fürs Impfen“ bedruckt. Und auch auf Seite 5 unten rechts ein Hinweis: Im Juni: Impftermin buchen

Wenn ich sowas lesen, bekomme ich einen dicken Hals.

Es gibt zur Zeit keine Termine! Denn es gibt kaum Impfstoff!

Herr Spahn teilt der Welt ja gern mal vor laufender Kamera mit, dass genug für alle da sei.

Dem ist aber leider nicht so. Und wenn nun die Patienten reihenweise in den Arztpraxen anrufen, bis sämtliche Leitungen zusammenbrechen, um sich am Besten schon gestern einen Termin zu holen, sind diese natürlich erbost und lassen ihren Frust an uns Helferinnen aus, wenn wir ihnen mitteilen, dass das nicht möglich ist.

„Aber im Fernsehen hat man gesagt…“

„Aber in der Zeitung steht…“

Ja! Das wird den Leuten so mitgeteilt, weil Herr Spahn und Co das gern mal so verbreiten.

ABER wenn wir keinen Impfstoff haben, können wir eben auch nicht impfen! So ist das nun mal.

Und wer nicht wegen eines Impftermins anruft, sondern weil er/sie uns vielleicht aus gesundheitlichen Gründen braucht und einen „normalen Termin zur Sprechstunde“ vereinbaren möchte, der/die erreicht uns teils gar nicht erst. Die Telefone stehen ja nicht still und wir kommen kaum noch nach.

Denn was man bitte nicht vergessen darf: im Gegensatz zu den Impfzentren – die außer Impfen nichts anderes machen – läuft bei uns ja auch noch die tägliche Sprechstunde: Blutentnahmen, Sonos, EKGs, ….

Ich arbeite in einer kleinen Hausarztpraxis in Unna.

1 Doc und 2 MFA. Wir haben uns bisher immer gut geschlagen und waren vor Corona – sogar ohne Termine – recht gut organisiert. Aber was jetzt abläuft, ist echt nicht mehr schön.

Zum täglichen Praxisalltag kommen nun also auch noch die Corona-Impfungen dazu. Wovon viele (oder die meisten) Leute nur leider nichts wissen, ist der enorme Aufwand der dadurch auf uns zukommt.

Listen erstellen, welcher Patient am dringendsten geimpft werden sollte.

-ja, die Priorisierung fällt ab dem 07. Juni weg, aber wir impfen ja bereits seit April-

Also eine Liste mit den Leuten, die als erstes geimpft werden müssen, dann eine Liste für die, die geimpft werden wollen aber leider noch warten müssen.

Jeweils Montags dürfen wir für die folgende Woche Impfstoff bestellen.

Donnerstags erfahren wir dann, ob wir die bestellte Menge überhaupt erhalten oder wieviel es am Ende tatsächlich nur gibt.

Dann erst können wir die Patienten abtelefonieren und ihnen einen festen Termin anbieten.

Nächstes Problem: eine Helferin hängt dann stundenlang am Telefon. Zum Einen muss man Glück haben mal raustelefonieren zu können, weil der Apparat ja kaum still steht. Zum Anderen muss man die Leute dann bitte auch telefonisch erreichen können.

Sind dann alle Termine für die kommende Woche vergeben, kommt der nächste Schritt.

5 Din A4 Seiten an Aufklärungs-und Einwilligungsformularen ausdrucken und den Leuten zukommen lassen. Denn die müssen -gemeinsam mit dem Impfpass- ausgefüllt zum Termin mitgebracht werden.

Klar, die Formulare gibt es für jeden zugänglich auch im Internet, aber ich arbeite in einer Hausarztpraxis mit vielen älteren Menschen und von denen sind kaum welche im Internet unterwegs und sie können sich die Seiten nicht „mal eben“ ausdrucken. Zumal es für unterschiedliche Impfstoffe eben auch unterschiedliche Formulare gibt.

Nun mal zum Impfstoff.

Leider ist das Zeug nicht so einfach zu Handhaben wie der jährliche Grippeimpfstoff.

Comirnaty von Biontech Pfizer zum Beispiel, können wir nach erhalt der Lieferung durch die örtliche Apotheke nur 5 Werktage im Kühlschrank aufbewahren.

Wenn wir nun impfen, wird der Impfstoff zeitnah aus der Kühlung geholt damit er Raumtemperatur annimmt.

Sobald das Vaccine- welches mit einer bestimmten Menge an Kochsalzlösung gemischt werden muss – gemischt und aufgezogen ist (aber bitte nicht schütteln, sonst wird der Impfstoff unbrauchbar!!!), muss die Spritze innerhalb von 2 Stunden verimpft werden. Ansonsten wird auch dann der Impfstoff unbrauchbar.

Aus einem Durchstechfläschchen bekommt man 6 Impfdosen.

Astra Zeneca ist ungeöffnet länger haltbar und muss auch nicht verdünnt werden, aber auch diese Flasche muss nach Anbruch verbraucht werden und kann nicht „mal eben bei Bedarf“ aus dem Kühlschrank geholt werden.

Aus einem Durchstechfläschchen bekommt man bei Astra Zeneca 10 Einzeldosen.

Das Impfen selber läuft dann so ab:

PatientIn XY kommt zum Termin, wird ausgiebig aufgeklärt, Fieber messen, dann muss die Einwilligung unterschrieben werden, dann erst wird geimpft und dann muss er/sie noch 15 Minuten zur Nachbeobachtung in der Praxis bleiben.

Viel Aufwand für einen kleinen Piecks!

Aber all das wird in den Medien leider nicht mitgeteilt. Wieviel Zeit es in Anspruch nimmt, neben den täglichen Aufgaben das Impfen zu organisieren und dabei auch noch den Praxisablauf aufrecht zu erhalten….

Das Impfen selbst geschieht dann nach der Sprechstunde in der „Mittagspause“ oder eben „nach Feierabend“.

DAS sehen die Leute dann nicht.

Sie sehen nur, dass „alle anderen bereits geimpft sind nur sie nicht“.

Wie es uns Helferinnen dabei geht, dass interessiert niemanden. Dass wir am Ende unserer Kräfte sind und auf dem Zahnfleisch kriechen ist egal.

Und die paar Leutchen, die im letzten Jahr auf ihren Balkonen oder am offenen Fenster für medizinisches Personal geklatscht haben… das war sicher nett gemeint, bringt uns aber leider auch nicht weiter.

Ich will nicht wissen wie viele meiner Kolleginnen mittlerweile wegen psychischer Überbelastung ausgefallen sind. Bei mir fehlt nämlich nicht mehr viel und ich war bisher mental recht robust. Aber alles hat seine Grenzen.

Ein lieber Gruß an die Regierung und auch an die KVWL.

Es macht keinen Sinn, die Impfzentren zu verkleinern

(in Unna zum Beispiel wurde von 9 auf 4 Impfstraßen reduziert) und alles auf die Haus- und Fachärzte abzuwälzen. Dadurch geht es nicht schneller. Es würde eher Sinn machen, mehr Impfzentren einzurichten. Nicht nur eins für den gesamten Kreis, sondern in jeder großen Stadt eins.

Damit sich die Mengen an Impfwilligen verteilen kann. Gut erreichbar für die Leute. In einem Impfzentrum können – wenn die Regierung für genug Impfstoff gesorgt hätte – im Normalfall pro Tag ca. 1500 Menschen geimpft werden. Bei uns in der Praxis maximal 48 Personen pro Woche. Na, fällt was auf?

Und nicht jede Arztpraxis beteiligt sich am Impfen.

Die Hochrechnung von Herrn Laumann und Herrn Spahn geht daher leider nicht auf. Im Gegenteil, wenn unsere Gesundheitsprofis da oben in Ihren Sesseln weiterhin so tolle Entscheidungen treffen, herrscht bald Land unter. Denn wenn sich das medizinische Personal in den Kliniken und Praxen krank arbeiten muss um deren Karren aus dem Dreck zu ziehen, haben wir bald ein noch größeres Problem als jetzt schon…“

Karina B., Unna

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