Bis 21.59 Uhr draußen Händchen halten – ab 22 Uhr ABSTAND! – Zurück auf dem Sofa: Händchen halten

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Quelle Porträt M. Löhr: SPD Kreis Unna / Bearbeitung: RB

„Ich begrüße die klaren und konsequenten Regeln! Ich appelliere an die Menschen im Kreis Unna, sie zu beherzigen! Es sind harte Einschränkungen – aber es ist der richtige Weg!“

Markig, im entschlossenem Ton begrüßt Landrat Mario Löhr, SPD, in einer Pressemitteilung der Kreisverwaltung am Freitag die frisch verabschiedete bundeseinheitliche Coronanotbremse. Diese beinhaltet unter (viel) anderem folgende Regelung:

Ausgangsbeschränkungen: Im Zeitraum zwischen 22 Uhr und 5 Uhr soll nur derjenige das Haus verlassen, der einen guten Grund hat – also etwa zur Arbeit geht, medizinische Hilfe braucht oder den Hund ausführen muss. Bis 24 Uhr wird es weiterhin möglich sein, alleine draußen zu joggen oder spazieren zu gehen.“ (Quelle: Bundesregierung)

Klar und konsequent? Hmmh.

Unserer Leserschaft auf Facebook keimten Zweifel. Uns auch. Wir machen daher mal den Praxischeck anhand zweier Fallbeispiele.

Beispiel A: Älteres Ehepaar, 40 Jahre verheiratet, teilt sich seit 40 Jahren Tisch und Bett.

Das Ehepaar bricht um 21.30 Uhr zu einem spätabendlichen Spaziergang durch Bergkamen auf. Die Luft ist mild, der Abend wonnig, Corona hin oder her. Nebeneinander gehend genießt das Paar die friedvolle Abendstimmung und vergisst ein wenig die Zeit. Plötzlich, von fern, schlägt die Kirchturmuhr. Drohende zehn Mal.

Furchtsam stiebt das Ehepaar auseinander, man möchte sich als gewissenhafter, stets gesetzestreuer Bürger ja keiner Ordnungswidrigkeit schuldig machen. Wer nach 22 Uhr draußen mit auch nur einer weiteren Person neben sich erwischt wird (egal ob er diese Person noch nie gesehen hat oder seit 40 Jahren mit ihr verehelicht ist) – Zahlemann und Söhne. 250 Euro werden fällig, pro Person. In Bergkamen, also hier im Kreis Unna. In Hagen wäre unser Paar mit 1000 Euro dabei, denn dort kassiert die Stadt pro Ausgangssperrverstoß 500 Euro. Es muss abschrecken und richtig weh tun.

Das muss man nicht haben. Soviel Geld lässt sich erfreulicher in eine schöne Urlaubsreise investieren (wenn man mal wieder irgendwann, vielleicht sogar zu zweit, in den Urlaub fahren darf), daher treten unsere beiden gesetzestreuen älteren Bürger im Gänsemarsch den Heimweg an, mit Sicherheitsabstand von 5, besser 10 Metern zwischen sich. Um sich, sobald sich das Gartentor hinter ihnen geschlossen hat, sofort wieder so eng auf die Pelle zu rücken wie eben seit 40 Jahren gewohnt, um sich ferner dann drinnen noch ein Stündchen mit 5 cm Abstand aufs gemeinsame Sofa zu setzen und schließlich ins gemeinsame Bett zu fallen (die Frage des Abstands wollen wir an diesem Punkt diskret aussparen).

Klar und konsequent? Hmhh.

Vielleicht funktioniert es bei einem jüngeren Paar?

Beispiel B: Junges Paar, frisch verliebt, wohnt noch nicht zusammen, sie kommt aus einer anderen Stadt und besucht ihn spätnachmittags in seiner Einzimmer-Junggesellenbude in Unna.

Wie das so ist, man vergisst die Zeit so frisch verliebt, plötzlich sind die Zeiger vorgerückt auf 21.45 Uhr. Ein Schreck durchfährt die Freundin. Wie soll sie in einer kurzen Viertelstunde vor der Sperrstunde jetzt noch bußgeldfrei nach Hause kommen? „Bleib doch einfach da“, wird ihr Gastgeber möglicherweise eilfertig anbieten, was aus unterschiedlichsten Gründen oftmals nicht möglich oder auch nicht gewünscht ist von Besucherinnenseite. Es muss also eine Lösung her.

Je nachdem, wie weit der Wohnort der Freundin von der Bude des Freundes in Unna entfernt liegt, kann sie entweder

a) sich eiligst ins Auto werfen und unter Ausreizung der maximalen Geschwindigkeitstoleranzen versuchen, noch rechtzeitig aus der Stadt heraus zu sein resp. keiner Polizeistreife zu begegnen,

b) besagte Autofahrt mit einem vorgetäuschten Notfall verbinden, wenn denn doch eine Polizeistreife sie um 22.01 Uhr in Königsborn-Nord streng herauswinkt. Ob als Notfall nun beispielsweise auch die (wahrheitsgemäße) Aussage taugt „wo ich gerade herkomme, steht nur ein Bett zur Verfügung“, mag dahingestellt bleiben, das liegt wohl im Ermessen und im ganz persönlichen Erfahrungshorizont des diensthabenden Polizeibeamten.

c) kann unsere junge Dame ihr Auto beim Freund lassen und den Heimweg zu Fuß antreten. Denn Sport in welcher Form ist ja erlaubt, bis Mitternacht. Ob die junge Frau nun schlicht „geht“, also schlendert, ob sie strammes Wandertempo vorlegt oder Nordic-walkt (Stöcke zwecks Beweisführung nicht vergessen), steht in ihrem Belieben. Sie kann sich auch vom Freund das Fahrrad leihen, oder sie kann nach Hause joggen, wenn sie eine sportliche Natur ist. Entscheidend ist allein, dass sie allein macht, was sie draußen macht, und dass sie überdies ausreichendes Tempo vorlegt, um spätestens um Mitternacht die Kreisgrenze bzw. die rettende Schwelle daheim überschritten zu haben. Denn aller Wahrscheinlichkeit nach herrscht in ihrer eigenen Stadt ebenfalls Ausgangssperre, so eine 7-Tages-Inzidenz von 100 ist ja mal schnell erreicht. In Coesfeld und Borken bisher nicht, aber wer wohnt schon in Borken oder Coesfeld.

Höchstens mit einer Zeitmaschine kann die junge Frau bei Aufbruch um 21.45 Uhr noch rechtzeitig zu Hause sein, wenn dieses Zuhause in Hamm liegt, denn dort hat der OB seine Bürgerschaft bereits ab 21 Uhr zu Hausarrest verdonnert.

Bleibt dann doch nur noch die Übernachtung beim Freund in Unna – dergleichen lässt sich ja letztlich auch ganz nett gestalten. Oder: die wanderlustige junge Dame sucht irgendwo am nächtlichen Wegesrand Unterschlupf, in einen Verschlag auf einem Feld in Afferde oder Weddinghofen gekauert lässt sie versteckt die endlosen Polizeistreifen passieren und die Helikopter mit Wärmebildkameras über sich kreisen.

So wartet sie das Morgengrauen ab, um dann endlich – beim erlösenden fünften Glockenschlag – aufatmend wieder aus dem Schuppen heraus auf die Straße zu krabbeln und den Freund mit einem Herzchensmiley whatsappend digital wachküssen: „Alles in Ordnung Schatz, hab gut geschlafen, ich fahr jetzt heim!“ Der nächste Linienbus kommt ja irgendwann praktisch überall vorbei. Achtung, Atemschutzmaske irgendwoher organisieren, die ist auch eine der neuen Einheitsregeln.

Und dann, wieder den ganzen Tag bis 21.59 Uhr legal im öffentlichen Raume unterwegs, immer mit einem heiteren Lächeln im Gemüt der eifrigen Worte des Landrats gedenken: „Es sind klare, konsequente Regeln, es sind harte Einschränkungen – aber es ist der richtige Weg!“ Guten Heimweg.

3 KOMMENTARE

  1. Das ältere Paar aus dem ersten Beispiel hatte doch seit 5.00 Uhr morgens Zeit einen Spaziergang zu machen!!!!!
    Es kann ja wohl nicht sein, dass für jeden möglichen Fall auch eine Regelung hermuss.
    Es ist doch wie beim telefonieren im Auto, weil einige wenige es nicht beherrschen gibt es ein Telefonverbot für alle.

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