„Seit Wochen leben in der Kinderheilstätte Nordkirchen Kinder und Jugendliche mit Behinderungen in ihren Wohngruppen völlig isoliert. Kein Kind durfte raus und niemand – auch nicht die Eltern – durften rein.“
Für einige Aufregung hat der frühere CDU-Bundestagsabgeordnete Hubert Hüppe aus Werne mit einem öffentlichen Posting auf seiner Facebookseite gesorgt.
Der in Behindertenfragen äußerst rührige CDU-Politiker, der voriges Jahr zum Vorsitzenden der Seniorenunion Kreis Unna gewählt wurde, teilte am Freitagabend mit:
„Ich habe heute den Träger angeschrieben und gefragt: Was war die Rechtsgrundlage für die Maßnahmen? Gab es Homeschooling, gab es Therapien, gab es wenigstens Aktivitäten wie Waldspaziergänge? Sieht der der psychologische Dienst der Vestischen Caritas Kliniken Gefahren für die Kinder und Jugendlichen und ist es beabsichtigt, jetzt mit den Kindern und Jugendlichen die Isolation therapeutisch aufzuarbeiten?“
Leider sei er von Eltern erst spät darauf aufmerksam gemacht worden, schreibt Hubert Hüppe. Er wundere sich, warum keine Behörde aktiv geworden sei.
„Ich stelle mir das für die Kinder und Jugendlichen ganz furchtbar vor. Jetzt warte ich auf die Antwort.“
Diese erfolgte zu Wochenbeginn in aller Ausführlichkeit und öffentlich unter Hüppes Facebookpost. Die Kinderheilstätte Nordkirchen schreibt:
„Sehr geehrter Herr Hüppe,
am Freitagnachmittag um 16 Uhr fragten Sie schriftlich in der Kinderheilstätte die Bedingungen in unseren Wohngruppen an und stellten kurz danach auch auf Ihrer Facebookseite unterschiedliche Behauptungen in den Raum, unter anderem die, Kinder lebten bei uns seit Wochen „völlig isoliert. Kein Kind durfte raus und niemand – auch nicht die Eltern – durften rein“.
Wir können Ihnen gerne mitteilen, dass wir als Einrichtung der Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit Behinderung nach § 45 SGB VIII unter die Erlasse und Verordnungen des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen ab dem 15.03.2020 fallen, das in der Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 (Coronaschutzverordnung – CoronaSchVO) mit Fassung vom 22.03.2020 „Besuche untersagt, die nicht der medizinischen oder pflegerischen Versorgung dienen oder aus Rechtsgründen erforderlich sind.“.
Für die Besucherregelungen wurden vom Ministerium mit Schreiben vom 5. Mai Lockerungen in Aussicht gestellt, die am 10. Mai landesweit in Kraft getreten sind. Auch in der Kinderheilstätte finden wieder Besuche durch die Eltern bei Ihren Kindern statt.
Jederzeit war es den Eltern möglich, ihr Kind aus der Wohngruppe zu sich nach Hause zu nehmen. Einige Eltern haben diese Möglichkeit gerne genutzt.
Vor der Rückkehr in die Wohngruppen nach dem Aufenthalt zu Hause mussten alle Kinder für 14 Tage in einer Quarantänegruppe leben, bis sie in ihre Ursprungsgruppe zurückkehren konnten. Auch diese Regelung wurde vor den Maßgaben des MAGS getroffen.
Anders als von Ihnen behauptet gab es zu keinem Zeitpunkt Ausgangsbeschränkungen in der Kinderheilstätte. Die Bewohner konnten in den vergangenen Wochen das Gelände der Kinderheilstätte in Begleitung verlassen und haben dies auch getan, um beispielsweise Fahrradtouren oder Ausflüge in den Wald zu unternehmen.
Um unter Einhaltung Ministeriumserlässe den bei uns lebenden Kindern und Jugendlichen den größtmöglichen Bewegungsspielraum innerhalb der Kinderheilstätte zu gewährleisten, wurde das Gelände der Einrichtung für die Öffentlichkeit gesperrt. Schilder weisen auf diese Sperrung hin.
- Fotos: H. Hüppe
Die Kinder konnten in den vergangenen Wochen alle Angebote inklusive Spielplätzen, Sinnesgarten, Multisportanlage, Streichelzoo, Bewegungsbaustelle in der Turnhalle und Schimmbad (bis zur reparaturbedingten Schließung) nutzen.
Das Betreten und Verlassen des Geländes war und ist jedoch jederzeit möglich, wovon man sich vor Ort überzeugen kann.
Die von Ihnen im Beitrag oben eingestellten Bilder zeigen Teilausschnitte der Eingangssituation und verbergen, dass neben der Verengung des Eingangs mehrere Meter Platz sind, so dass nicht nur Menschen, sondern auch Autos auf das Gelände und beispielsweise zu den Parkplätzen gelangen können.
Therapien für die Kinder und Jugendlichen (durch Physiotherapeuten, Psychologen und eine Ergotherapeutin aus der Kinderheilstätte sowie Logopäden und Ergotherapeuten aus externen Praxen) wurden in der gesamten Zeit wie gewohnt weitergeführt.
Wir haben für die Kinder, deren Alltag durch die Schulschließungen und die Kontaktverbote umgekrempelt wurde, viele unterschiedliche Freizeitangebote gemacht, Kontaktmöglichkeiten zu ihren Familien per Tablet geschaffen und so die Zeit der Beschränkungen durch hohes Engagement aller Mitarbeiter und die Bereitschaft der Kinder, sich auf die Situation einzulassen, gut bewältigen können.
Tatsächlich war die Stimmung in den Wohngruppen in den vergangenen Wochen und Monaten sehr gut und die Kinder und Jugendlichen sehr ausgeglichen.
Im Übrigen standen wir während der vergangenen Wochen im regelmäßigen Austausch sowohl mit dem Ministerium als auch mit dem für uns zuständigen Landesjugendamt. Unsere Aufsichtsbehörde hat zurückgemeldet, dass wir verantwortlich und vorbildlich reagiert haben.
Irritiert hingegen sind wir von Ihrer Praxis, uns am Freitagnachmittag per Mail eine Anfrage zum Vorgehen der Kinderheilstätte in der Coronakrise zuzusenden und diese Anfrage inklusive falscher Behauptungen und beschnittener Fotos quasi zeitglich auf Facebook zu veröffentlichen, ohne eine Antwort abzuwarten. Wir sind in dieser Hinsicht einen anderen Stil gewohnt.
Mit freundlichen Grüßen
die Kinderheilstätte Nordkirchen.“
Text und Fotos mit Erlaubnis von Hubert Hüppe hier wiedergegeben.
Land NRW: „Recht auf Selbstbestimmung nicht missachten!“
Die Beauftragte der Landesregierung für Menschen mit Behinderung sowie für Patientinnen und Patienten, Claudia Middendorf, ruft die Wohneinrichtungen in einer Pressemitteilung vom 28. Mai dazu auf, den Bewohnerinnen und Bewohnern Besuche und das Verlassen ihrer Einrichtung zu ermöglichen.
Entsprechend der aktuell gültigen Version der Coronaschutzverordnung können den Bewohnerinnen und Bewohnern unter der Einhaltung von Auflagen Besuche gestattet werden. Diese Regelungen betreffen sowohl die Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderungen als auch Alten- und Pflegeheime.
Dazu erklärt die Landesbehinderten- und -patientenbeauftragte, Claudia Middendorf:
„Viele Angehörige von Bewohnerinnen und Bewohnern in Wohnheimen haben sich in der letzten Zeit hilfesuchend an mich gewandt und mir berichtet, dass sie ihre Eltern, Kinder oder Partner derzeit nicht besuchen dürfen. Viele Einrichtungsleitungen verwehren ihren Bewohnerinnen und Bewohnern trotz der Lockerungen der Maßnahmen die Möglichkeit, besucht zu werden. Aus einigen Einrichtungen wurde mir sogar gemeldet, dass weiterhin das Verlassen des Wohngebäudes verboten sei.
Gerade für Menschen mit Behinderungen sind diese Einschränkungen nicht nachvollziehbar. Das Recht auf Selbstbestimmung und Teilhabe darf nicht missachtet werden.“
„Für die psychische Gesundheit ist der persönliche Kontakt zu vertrauten und geliebten Menschen für uns alle von besonderer Wichtigkeit. In der aktuell gültigen Version der Coronaschutzverordnung hat die Landesregierung klar dargestellt, welche Maßnahmen die Einrichtungen ergreifen müssen, um die Besuche zu erlauben. Aus meiner Sicht gibt es daher keinen Grund mehr, die Menschen in Wohneinrichtungen weiterhin einer sozialen Isolation auszusetzen. Gleiches gilt für die Werkstätten für Menschen mit Behinderungen, die aktuell noch geschlossen sind. Alle Werkstätten sollten ihren Beschäftigten anbieten, zu einem möglichst geregelten Alltag zurückkehren zu können“, so Middendorf weiter.
„Daher bitte ich die Einrichtungsleitungen eindringlich darum, die gesellschaftliche Teilhabe zu fördern und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Wir alle haben in den letzten Wochen gelernt, die Hygienemaßnahmen zu beachten und verantwortungsbewusst miteinander umzugehen. Die Menschen mit Behinderungen, Pflegebedürftigen und älteren Menschen dürfen nicht weiter eingeschränkt werden“, betonte Middendorf.