Keine Gottesdienste mehr, auch nicht am christlichen Hochfest Ostern: Am Karfreitag wurde das Corona-bedingte Gottesdienstverbot höchstrichterlich als rechtsmäßig eingestuft.
Das Bundesverfassungsgericht Karlsruhe hat demnach am 10. April die Klage eines Katholiken aus Hessen zurückgewiesen. Vergleichbare Klagen waren auch in anderen Bundesländern angestrengt worden.
Das wegen der Coronakrise erlassene Gottesdienstverbot sei rechtmäßig, so die Richter – trotz des damit einhergehenden „überaus schwerwiegenden Eingriffs in die Glaubensfreiheit“. Denn der Schutz vor den Gefahren für Leib und Leben durch das Virus habe Vorrang vor diesem Grundrecht. Diese Wertung umfasst neben dem Christentum auch alle anderen Religions- und Glaubensgemeinschaften.
Die Richter setzten aber ein deutliches „aber“ hinter ihre Wertung: Wörtlich heißt es:
„Der überaus schwerwiegende Eingriff in die Glaubensfreiheit zum Schutz von Gesundheit und Leben ist auch deshalb derzeit vertretbar, weil die Verordnung vom 17. März 2020 und damit auch das hier in Rede stehende Verbot von Zusammenkünften in Kirchen bis zum 19. April 2020 befristet ist.“
Danach sei neu und sehr streng abzuwägen und müsse „eine strenge Prüfung der Verhältnismäßigkeit erfolgen“, so das Bundesverfassungsgericht. In jedem Fall müssten Lockerungen des strengen Gottesdienstverbotes geprüft werden, evtl. auch regional begrenzt. Dies gelte auch für andere Religionsgemeinschaften, die vergleichbar schwerwiegend betroffen sind. So feiern die Muslime etwa im Mai den Ramadan.
Die Bundesverfassungsrichter erkannten im Sinne der Kläger an, dass die gemeinsame Feier der Eucharistie ein Kernbestandteil des katholischen Glaubens sei, die nicht durch digitale Alternativen oder häusliches Gebet kompensiert werden könne.
Hier lesen Sie die Begründung der Karlsruher Richter in Gänze:
Der Antragsteller begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit dem Inhalt, den Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 7. April 2020 – 8 B 892/20.N – aufzuheben und die Regelung des § 1 Abs. 5 der Vierten Verordnung zur Bekämpfung des Corona-Virus der hessischen Landesregierung vom 17. März, zuletzt geändert durch die Verordnung zur Anpassung der Verordnungen zur Bekämpfung des Corona-Virus vom 20. März 2020 (künftig: Corona-Verordnung), welche Zusammenkünfte in Kirchen, Moscheen, Synagogen und Zusammenkünfte anderer Glaubensgemeinschaften untersagt, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache außer Vollzug zu setzen.
Der Antragsteller ist katholischen Glaubens und besucht regelmäßig die Heilige Messe. Aufgrund der Verordnung ist es ihm unmöglich, an einer Messfeier teilzunehmen. Das gilt sowohl für den wöchentlichen Besuch der Heiligen Messe (Eucharistiefeier) als auch insbesondere für die Gottesdienste an den Osterfeiertagen. Das vollständige Zurücktreten des Grundrechts der Glaubensfreiheit in Gestalt der ungestörten gemeinsamen Religionsausübung hinter das kollidierende Grundrecht auf Leben beziehungsweise auf körperliche Unversehrtheit hält der Antragsteller für unverhältnismäßig.
Der Antragsteller hat vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof die vorläufige Außervollzugsetzung der Regelung des § 1 Abs. 5 der Corona-Verordnung im Wege der einsteiligen Anordnung beantragt. Der Antrag wurde abgelehnt (vgl. Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 7. April 2000 – 8 B 892/20.N-).
II.
Der auf eine vorläufige Außervollzugsetzung des § 1 Abs. 5 der Corona-Verordnung gerichtete Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig. Insbesondere fehlt es nicht am Rechtsschutzbedürfnis. Zwar wurden durch das Bistum L…, in dem der Antragsteller wohnt, sämtliche Gottesdienste bis zum 19. April 2020 abgesagt. Der Antragsteller hat jedoch vorgetragen, dass sich ein Priester ihm gegenüber bereit erklärt habe, im Fall der Aufhebung des staatlichen Verbots – unter Beachtung aller erforderlichen hygienischen Maßnahmen – an den Osterfeiertagen die Heilige Messe in einem Kirchenraum zu feiern. Darüber hinaus ist nicht ausgeschlossen, dass im Falle der beantragten Außervollzugsetzung der oben genannten Regelung in weiterem Umfang Gottesdienste angeboten würden.
2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist jedoch unbegründet.
a) Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erwiese sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 112, 284 <291>; 121, 1 <14 f.>; stRspr). Bei offenem Ausgang der Verfassungsbeschwerde sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der – hier noch zu erhebenden – Verfassungsbeschwerde jedoch der Erfolg versagt bliebe (vgl. BVerfGE 131, 47 <55>; 132, 195 <232>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 10. März 2020 – 1 BvQ 15/20 -, Rn. 16; stRspr).
b) Die noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde wäre, soweit hinsichtlich des in § 1 Abs. 5 der Corona-Verordnung verankerten Verbots von Zusammenkünften in Kirchen der Antragsteller selbst betroffen ist, zumindest nicht von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Dies bedürfte eingehenderer Prüfung, was im Rahmen eines Eilverfahrens nicht möglich ist.
Daher ist über den Antrag auf einstweilige Anordnung aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden (vgl. BVerfGE 91, 70 <74 f.>; 92, 126 <129 f.>; 93, 181 <186 f.>; 94, 334 <347>; stRspr). Dabei müssen die für eine vorläufige Regelung sprechenden Gründe so schwerwiegend sein, dass sie den Erlass einer einstweiligen Anordnung unabweisbar machen. Bei der Folgenabwägung sind die Auswirkungen auf alle von den angegriffenen Regelungen Betroffenen zu berücksichtigen, nicht nur die Folgen für den Antragsteller (vgl. für förmliche Gesetze BVerfGE 122, 342 <362>; 131, 47 <61>).
aa) Erginge die einstweilige Anordnung nicht und hätte eine Verfassungsbeschwerde des Antragstellers Erfolg, wären Heilige Messen, an deren Teilnahme es dem Antragsteller vor allem geht, zu Unrecht untersagt worden. Der Antragsteller legt unter Bezugnahme auf Aussagen des II. Vatikanischen Konzils (Dogmatische Konstitution über die Kirche, Nr. 11) und des Katechismus der Katholischen Kirche (Nr. 1324-1327) nachvollziehbar dar, dass die gemeinsame Feier der Eucharistie nach katholischer Überzeugung ein zentraler Bestandteil des Glaubens ist, deren Fehlen nicht durch alternative Formen der Glaubensbetätigung wie die Übertragung von Gottesdiensten im Internet oder das individuelle Gebet kompensiert werden kann. Daher bedeutet das Verbot dieser Feier einen überaus schwerwiegenden Eingriff in das Recht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. Das gilt nach den plausiblen Angaben des Antragstellers noch verstärkt, soweit sich das Verbot auch auf Eucharistiefeiern während der Osterfeiertage als dem Höhepunkt des religiösen Lebens der Christen erstreckt.
Erginge die einstweilige Anordnung nicht und hätte die Verfassungsbeschwerde Erfolg, wäre dieser überaus schwerwiegende und nach dem Glaubensverständnis des Antragstellers auch irreversible Eingriff in die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit zu Unrecht erfolgt.
bb) Würde demgegenüber die Untersagung von Zusammenkünften in Kirchen wie beantragt vorläufig außer Kraft gesetzt und hätte die Verfassungsbeschwerde keinen Erfolg, würden sich voraussichtlich sehr viele Menschen zu Gottesdiensten in Kirchen versammeln; das gilt gerade über die Osterfeiertage.
Damit würde sich die Gefahr der Ansteckung mit dem Virus, der Erkrankung vieler Personen, der Überlastung der gesundheitlichen Einrichtung bei der Behandlung schwerwiegender Fälle und schlimmstenfalls des Todes von Menschen nach der maßgeblichen Risikoeinschätzung des Robert-Koch-Instituts vom 26. März 2020 (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html) erheblich erhöhen, obwohl dies durch ein Gottesdienstverbot in verfassungsrechtlich zulässiger Weise hätte vermieden werden können (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 7. April 2020 – 1 BvR 755/20 -www.bundesverfassungsgericht.de).
Diese Gefahren blieben nicht auf jene Personen beschränkt, die freiwillig an den Gottesdiensten teilgenommen haben, sondern würden sich durch mögliche Folgeinfektionen und die Belegung von Behandlungskapazitäten auf einen erheblich größeren Personenkreis erstrecken.
cc) Gegenüber diesen Gefahren für Leib und Leben, vor denen zu schützen der Staat nach dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 GG auch verpflichtet ist (vgl. BVerfGE 77, 170 <214>; 85, 191 <212>; 115, 25 <44 f.>), muss das grundrechtlich geschützte Recht auf die gemeinsame Feier von Gottesdiensten derzeit zurücktreten.
Der Hessische Verwaltungsgerichtshof verweist in dem angegriffenen Beschluss zu Recht darauf, dass es nach der Bewertung des Robert-Koch-Instituts in dieser frühen Phase der Pandemie darum geht, die Ausbreitung der hoch infektiösen Viruserkrankung durch eine möglichst weitgehende Verhinderung von Kontakten zu verlangsamen, um ein Kollabieren des staatlichen Gesundheitssystems mit zahlreichen Todesfällen zu vermeiden.
Der überaus schwerwiegende Eingriff in die Glaubensfreiheit zum Schutz von Gesundheit und Leben ist auch deshalb derzeit vertretbar, weil die Verordnung vom 17. März 2020 und damit auch das hier in Rede stehende Verbot von Zusammenkünften in Kirchen bis zum 19. April 2020 befristet ist.
Damit ist sichergestellt, dass die Verordnung unter Berücksichtigung neuer Entwicklungen der Corona-Pandemie fortgeschrieben werden muss. Hierbei ist – wie auch bei jeder weiteren Fortschreibung der Verordnung – hinsichtlich des im vorliegenden Verfahren relevanten Verbots von Zusammenkünften in Kirchen eine strenge Prüfung der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen und zu untersuchen, ob es angesichts neuer Erkenntnisse etwa zu den Verbreitungswegen des Virus oder zur Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems verantwortet werden kann, das Verbot von Gottesdiensten unter – gegebenenfalls strengen – Auflagen und möglicherweise auch regional begrenzt zu lockern.
Gleiches gilt mit Blick auf andere Religionsgemeinschaften, die durch das Verbot nach § 1 Abs. 5 der Corona-Verordnung vergleichbar schwerwiegend betroffen sind, weil für sie die gemeinsame Zusammenkunft ihrer Gläubigen ebenfalls zentraler Bestandteil des Glaubens ist.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.