„Weniger Auto, Herr Wigant?“ – „Nein.“ Unnas Bürgermeisterkandidaten, der Verkehr, die AfD und Grüne Furcht vor „lila Grünen“

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Podium der Bürgermeisterkandidaten auf Einladung der VHS am 2. September in der Schwankhalle des ZiB. (Foto RB)

„Setzen Sie beim Verkehr auf den Schwerpunkt weniger Autos, Herr Wigant?“ – „Nein.“

Klare Frage vom Moderator, kurze, prägnante Antwort vom Bürgermeister: Unter anderem um Unnas Verkehrspolitik der nächsten fünf Jahre ging es bei der letzten der vielen Bürgermeister-Diskussionsrunden, zu der am 2. September die Volkshochschule Unna-Fröndenberg-Holzwickede ins ZiB am Lindenplatz eingeladen hatte.

Mit Antenne Unna-Chefredakteur Thorsten Wagner hatte die Volkshochschule einen erfahrenen und lokal versierten Moderator gewonnen, der als eines der Schwerpunktthemen eben Verkehr und Mobilität ausgesucht hatte.

Ein Thema, das in Unna rund um 30er-Lärmschutzzonen, Parkplatzbeseitigungen und Parkgebührenerhöhungen hitzig diskutiert wurde und wird und bei dem die insgesamt sechs Kandidaten – fünf Männer, eine Frau – ihre Profile gegenüber den Mitbewerbern schärfen konnten.

Neben Amtsinhaber Dirk Wigant (CDU) bewerben sich ums Bürgermeisteramt der SPD-Herausforderer Hartmut Ganzke (Bilder unten: 2. v. li.), Buchhändler Michael Sacher für die Grünen (re.), Polizist Sven Arnt für Wir für Unna (WfU, 4. v. li.), Lea Emler aus Fröndenberg für VOLT und der parteilose Clubbesitzer Achim Megger aus Königsborn (li).

Er habe manchmal den Eindruck, so setzte Moderator Wagner eine Spitze, dass bevorzugt vom Radclub ADFC Hinweise in die Politik getragen, diskutiert und auch umgesetzt würden. Und dass Unna Fortbewegungsmittel wie Leih-Lastenräder forciere, die in anderen Städten bereits wieder abgeschafft seien.

Michael Sacher (Grüne) widersprach energisch. Das Lastenradprogramm in Unna, zu dem Leih-Lastenräder sowie städtische Kaufzuschüsse gehören, werde gut angenommen und unter seiner Bürgermeisterschaft auf jeden Fall fortgesetzt, betonte er.

Wagner stocherte weiter. „Ich selbst hatte in Unna schon aggressive Radler am Pkw, die mich wütend auf irgendeine angebliche Verfehlung hinwiesen. Auch Autofahrer kommen mir in Unna zunehmend aggressiv vor. Ist das nur mein persönlicher Eindruck?“

Als er im Zusammenhang mit den wachsenden Aggressionen den Eifer ansprach, mit dem die Stadt Unna unter dem Oberthema „Lärmschutz“ neue Tempo 30-Zonen ausweist, und dann noch provokant die Frage stellte: „Muss Lärmschutz hier vielleicht auch für andere Überzeugungen herhalten?“, sprang der Grünen-Kandidat vor Ärger fast von seinem Hocker.

„Ich bin völlig konserniert!“, ging Sacher den Moderator mit erhobener Stimme an.

„Wir haben Klimakatastrophe!!! Da ist Tempo 30 doch einfach eine absolut gute und richtige Sache! Wie kann man das in dieser Zeit überhaupt in Frage stellen?!“

Wagner leichelte fein. „Ich frage ganz entspannt, Sie sind konsterniert. Das ist genau der Effekt, den ich erreichen wollte.“ Jetzt wirkte Sacher erst recht konsterniert.

An Bürgermeister Dirk Wigant (CDU) und seine grüne Verkehrspolitik der letzten Jahre richtete Moderator Wagner die Frage, ob Wigants Schwerpunkt (weiterhin) „weniger Autos“ sei.

Wigant antwortete „Nein“ und wiederholte im Anschluss praktisch das, womit er schon vor fünf Jahren in seinem ersten Bürgermeisterwahlkampf angetreten war: Er wolle ein gleichberechtigtes Nebeneinander aller Verkehrsteilnehmer, vom Autofahrer über die Radfahrer bis zum Fußgänger.

Dass die CDU und ihr CDU-Bürgermeister dieses Ziel in ihrer Abstimmungsgemeinschaft mit den Grünen nur bedingt erreicht haben, sieht Wigant nicht so. Lärmschutzaktionspläne, betonte er, müssten erfüllt werden, dazu sei die Stadt laut EU-Recht verpflichtet.

Darüber hinaus könne eine Kommune selbstständig nur sehr begrenzt Tempo 30 verfügen, so etwa vor Kitas, Schulen, Krankenhäusern. „Oder dort, wo überdurchschnittlich viel gefahren wird.“

SPD-Herausforderer Hartmut Ganzke griff Wigant mehrfach direkt an.

„Warum hat der Bürgermeister immer noch nicht das zugesagte Parkleitsystem umgesetzt?“, hielt er dem CDU-Amtsinhaber vor. Dies erinnerte informierte Zuhörer daran, dass die SPD damals dem neuen verschärften Parkkonzept genau deshalb nicht zugestimmt hatte:

Man könne nur dann erreichen, dass autofahrende Stadtbesucher vermehrt die Parkhäuser und Tiefgaragen nutzten, wenn man sie auch mit einem modernen Parkleitsystem dort hinführe.

Einfach das Parken auf den Außenflächen drastisch zu verteuern in der Gewissheit, dass dies schon allein die Parkhäuser fülle, dieser Idee hatten sich die Sozialdemokraten bei der Abstimmung über das neue Parkkonzept Ende 2023 verweigert.

Sie hatten sich enthalten. Dagegen gestimmt hatte nur die FDP.

Dass das Parkleitsystem auch 21 Monate nach dem Start des Parkkonzeptes weiter auf sich warten lässt, bestätigt die SPD in ihrer damaligen Skepsis. Hartmut Ganzke wurde ganz deutlich:

„Ich habe von Anfang an den Eindruck gehabt, dass das nichts werden würde. Dass es darum ging, alles gegeneinander auszuspielen.“

Er machte mit Blick auf die schwarzgrüne Projektgemeinschaft klar, wie seine Bürgermeisterschaft sich diesbezüglich unterscheiden würde:

„Ideologien werden im nächsten Rat keinen Platz haben.“

Bürgermeisterkandidatin Lea Emler von VOLT zeigte sich weiteren Tempolimits im Innenstadtbereich gegenüber aufgeschlossen, „da, wo es möglich ist.“ Besonders wichtig seien 30er-Beruhigungen auf Schulwegen.

Bewusst neutral gab sich beim heiklen Verkehrsthema Sven Arnt, Kandidat für WfU.

„Ich komme hier mit dem Fahrrad sehr gut klar. Ich hätte auch den Innenstadtradring nicht gebraucht. Ich komme auch mit dem Auto gut klar. Ich halte generell nichts davon, Bürger zu irgendetwas zu erziehen. Auch nicht zum Fahrrad.“

Er selbst sehe das nicht so, betonte Arnt, „dass so viele Autofahrer zum Spaß durch die Gegend fahren. Es will sich aber auch, auf Deutsch gesagt, nicht jeder gern einen nassen A… holen auf dem Weg zur Arbeit. Und für viele ist der Arbeitsweg einfach zu weit, um das Fahrrad zu nehmen.“

Zu den bestehenden Tempo 30-Lärmschutzzonen auf Hauptverkehrsstraßen hatte WfU in diesem Jahr einen Antrag eingebracht, das Limit auf die Nachtstunden zu beschränken, wie es etwa auch die Stadt Kamen an der Lünener Straße regelt. Der Rat lehnte mehrheitlich ab.

Achim Megger merkte zur Mobiliätswende ebenfalls an, man dürfe den Bürgern keine Sichtweise aufdrängen, um sie nicht zu überfordern.

Was ich meinen liebsten Widersacher schon immer fragen wollte…

Diese Rubrik, erklärte Moderator Thorsten Wagner mit händereibender Vorfreude, sei ihm bei Diskussionsrunden stets die Liebste: „Was ich meinen liebsten Widersacher hier in dieser Runde schon immer fragen wollte“.

Michael Sacher machte den Anfang und wählte sich zur Überraschung mancher im Publikum Lea Emler aus. Überraschend deshalb, weil die Grünen mit VOLT die mit Abstand meisten programmatischen Überschneidungen haben.

Genau das ist aber offenbar ein Ärgernis für den Grünen Bürgermeisterkandidaten, muss er doch durch die erstmalige Kandidatur von VOLT für den Stadtrat und das Bürgermeisteramt in Unna um Stimmenverluste im eigenen grünen Lager bangen.

„Was macht VOLT anders als die Grünen?“, ging er also seine „liebste Widersacherin“ an, „und warum wollt ihr Atom?!“ – „Wir machen Europapolitik und denken Klimaschutz ganzheitlich“, gab ihm die VOLT-Kandidatin zurück, und ein, VOLT seien nicht nur „lila Grüne“.

Ganzheitlicher Klimaschutz bedeutet für Lea Emler bezüglich der Atomkraft: „Falls es in der Zukunft Methoden gibt, die atomaren Abfall abbaubar machen, wären wir für Atomenergie offen.“ Im Umfeld des Reaktorwracks in Tschernobyl seien zum Beispiel Pilze entdeckt worden, die sich offenbar von radioaktiver Strahlung ernährten.

Bürgermeister Wigant (CDU) suchte sich als „liebsten Widersacher“ wenig überraschend seinen aussichtsreichsten Herausforderer von der SPD aus. Erstaunlich verkrampft attackierte Wigant den noch amtierenden Landtagspolitiker Ganzke mit der Frage, wieso der Massener „seine Liebe zu Unna noch nicht 2020 entdeckt“ habe, als er auch schon hätte als Bürgermeister kandidieren können?

Statt dessen habe sich Ganzke 2022 für weitere fünf Jahre in den Landtag wählen lassen und würde jetzt, sollte er Bürgermeister werden, seine Landtagwählerschaft quasi „verraten“.

Diesen Angriff konnte der versierte Polit-Profi Ganzke locker auskontern: „Meine Liebe zu Unna zeigt sich dran, dass ich seit vielen vielen Jahren Kreistagsmitglied bin und auch schon im Stadtrat mitgearbeitet habe. Genau wie du, Dirk Wigant“, griff er den Amtsinhaber jetzt frontal an, „bin auch ich von meiner Partei jetzt gefragt worden, ob ich das tollste Amt der Stadt haben möchte.“

Wir für Unna-Kandidat Sven Arnt weigerte sich trotz mehrfacher Aufforderung des Moderators, sich einen „Widersacher“ aus der Runde auszusuchen, denn:

„Ich sehe uns hier alle nicht als Widersacher, sondern als demokratische Mitbewerber.“

Hingegen pickte sich die VOLT-Kandidatin ausgerechnet jenen Mitbewerber aus der Runde heraus, der von sich selbst offenherzig sagte, bei der Bürgermeisterwahl null Chancen zu haben: Clubbesitzer Achim Megger.

Denn der Königsborner hatte sich für Lea Emlers Geschmack bei einem kürzlich vorangegangenen Bürgermeisterkandidatenpodium nicht klar und deutlich von der AfD distanziert, die bei dieser Kommunalwahl zum ersten Mal für den Unnaer Rat kandidiert und bei der Bundestagswahl in eingen Massener und Königborner Wahlbezirken über 30 Prozent erzielte.

Emler glaubte bei Megger „wohlwollende Kooperationsbereitschaft gegenüber der gesichert rechtsextremen AfD“ ausgemacht zu haben. Entsprechend wollte sie ihn nun in der VHS-Diskussionsrunde auf eine öffentliche Distanzierung von dieser gesichert rechtsextremen Partei festnageln.

Assistiert wurde sie bei diesem Versuch von Moderator Wagner, der hier, als einzigen Moment des Abends, aus seiner ansonsten durchgehend neutralen Gesprächsführung ausscherte und in Parteilichkeit kippte.

Megger, in die Zange genommen von zwei Seiten, ließ sich standhaft nicht zum öffentlichen Bekenntnis gegen die AfD drängen.

„Wenn ich gewählt werde – was nicht passieren wird, aber nehmen wir mal an, ich würde Bürgermeister. Dann kann ich die“ (die künftigen AfD-Ratsmitglieder, d. Red.) „doch nicht ignorieren, wenn sie im Stadtrat vor mir sitzen.“

Ganz nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“ schoss Megger dann noch gegen den Grünen Sacher, der mit seiner Partei öffentlich beklagt hatte, dass außer ihm keiner der anderen Bürgermeisterkandidaten am 3. August gegen die AfD-Kreisparteitag in Königsborn demonstriert hatte.

„Wir Bürgermeisterkandidaten sollten gegen einen demokratischen Parteitag protestieren“, erinnerte Achim Megger anklagend mit erhobener Stimme: „DAS finde ich unmöglich!“

3 KOMMENTARE

  1. Autos, Parkleitsysteme, Parkhäuser… Man könnte meinen, Unna sei ein Freilichtmuseum der autogerechten Stadtplanung der 70er-Jahre.
    Das Auto scheint hier nicht bloß Fortbewegungsmittel zu sein – es wird angebetet wie ein goldenes Kalb, poliert, verteidigt, hofiert. Für manche ist es offenbar mehr als ein Statussymbol – eher eine Art Ersatzreligion mit integrierter Wochenendbespaßung.

    Wer hier wagt, an der heiligen Kuh Auto zu rütteln, muss sich anhören, er wolle die „Freiheit einschränken“ – dabei wirkt es eher, als sei die Stadtpolitik in einer Endlosschleife aus dem letzten Jahrhundert gefangen. Digitalisierung? Klimaziele? Lebenswerte Innenstädte? Fehlanzeige – Hauptsache, der SUV hat einen Platz im Schatten.

    Norbert Lammert fragte kürzlich: „Ist den Deutschen das eigene Auto wichtiger als die deutsche Demokratie?“ –
    Ich fürchte, in Unna ist die Antwort längst gefallen. Und sie hupt!!

  2. Die Frage von Herrn Sacher an Frau Emler war tatsächlich sehr unangenehm. Ich bin ganz weit weg davon um das Bürgermeisteramt einer Stadt zu kandidieren, aber wenn ich dies tun würde, würde ich mich schon noch mit den Parteiprogrammen der anderen Parteien auseinander setzen und dann kommt so eine Frage „was ist der Unterschied zwischen dir und mir?“ nicht auf. Das auch noch öffentlich zu fragen: Peinlich. Von einem Bürgermeisterkandidaten erwarte ich schon ein gewisses Maß an politischer Bildung.

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