Ein knapp bestätigter Bürgermeister ohne Mehrheit im Acht-Parteien-Rat: Was hat Unna da eigentlich zusammengewählt?

3
1284
Symbolbild Meinungsbeitrag - Eselsbrunnen auf dem Unnaer Markt / Archiv: S. Rinke RB
  • Ein Meinungsbeitrag unserer Redaktion.

Der Souverän hat entschieden. Nein, korrekter: Eine Minderheit der Unnaer Wahlberechtigten hat sich am Sonntag in der Stichwahl mehrheitlich für ein „Weiter mit Wigant“ entschieden und dem Amtsinhaber ein ebenso knappes Ergebnis wie bei seiner Erstwahl vor fünf Jahren beschert.

Rund 220 Stimmen trennten Wigant damals von SPD-Kandidatin Katja Schuon, auf 305 Stimmen konnte er seinen Vorsprung nach fünfjähriger Amtszeit vor seinem neuen SPD-Herausforderer Hartmut Ganzke ausbauen. Dass dies nicht wirklich von gewachsenem Zuspruch zeugt und 50,7 Prozent in der Stichwahl alles andere als ein starker Vertrauensbeweis für einen Amtsinhaber ist, dürfte Dirk Wigant selbst wissen.

Das wird auch seine Partei wissen, die CDU, die den knappen Sieg ihres Bürgermeisters in einer kurzen Pressemitteilung nach dem Wahlabend zwar als Bestätigung für Wigants erste Amtszeit feiert, sogleich aber den politischen Mitbewerbern die Hand zur Zusammenarbeit ausstreckt. Dass Parteivorsitzende Wieczorek ihr Angebot betont an die „demokratischen“ Kräfte richtet, macht sofort klar (was aber sowieso schon klar war), wen sie damit nicht meint.

Für die Suche nach Mehrheiten wird eine wie auch immer geartetete Brandmauer zur neuen 8-köpfigen AfD-Fraktion nicht eben einfacher. Was tun „die demokratischen Kräfte“ zum Beispiel, wenn die AfD – was ja möglich ist – einen guten, sinnvollen Antrag einbringt? Lehnen die vereinigten Demokraten ihn dann gemeinsam ab, um ihn, was im politischen Geschäft gang und gäbe ist, mit einem gewissen Scham-Abstand als ihren eigenen neu zu verkaufen?

Das wäre nicht nur undemokratisch, sondern ein gefährliches Spiel, wie alles, was die AfD in eine Opferrolle manövriert. Wohin Dauerausgrenzung und per se-Verteufelung führen, lässt sich jede Woche in leuchtendem Blau an den bundesweiten Umfragen ablesen.

Auch jenseits des AfD-Themas – wie kann man sich die Diskussionen und Abstimmungen in Unnas Stadtrat künftig wohl vorstellen?

Dem politisch versierten, selbstbewussten und moderationsstarken Hartmut Ganzke wäre es als Bürgermeister mit Sicherheit leichter gefallen als dem experimentierscheuen Wigant, in dem auf 56 Köpfe vergrößterten Stadtrat mit wechselnden Mehrheiten zu operieren. Dass er genau dies vorhatte, sich nämlich wechselnde Mehrheiten zu suchen, machte Ganzke schon lange klar, bevor die Unnaer diesen kunterbunten neuen Rat zusammenwählten.

Wechselnde Mehrheiten statt fester Abstimmungspartner bedeutet größere Unsicherheit, mit der auch ein Bürgermeister Ganzke hätte fertig werden müssen. Auch für ihn hätte es nicht für eine – in diesem Fall „linke“- Mehrheit ohne CDU gereicht, denn für das Konstrukt Rot-Rot-Grün-Lila (mit Grünen, Linkspartei und Volt) hätte trotz Bürgermeisterstimme eine entscheidende Stimme gefehlt.

Dass sich Wir für Unna für eine der beiden Seiten als fester Partner zur Verfügung stellt, kann man ausschließen. Rein rechnerisch könnte Wigant ausgerechnet mit diesen 3 WfU-Stimmen ein neues „Abstimmungsprojekt“ konstruieren – 16 CDU, 8 Grüne, 1 FDP, 1 Bürgermeisterstimme macht 26 – drei mehr sind 29. Damit wäre die SPD zwar stärkste Kraft im Rat, aber dennoch kaltgestellt. Doch die Kombi „Grünen und WfU“ dürfte ausgeschlossen sein.

Bliebe nur noch eine GroKo – Schwarzrot, in diesem Fall Rotschwarz. Das lehnt die SPD ab. Und daran tut sie gut.

Kommt das alles nun überraschend? Nach nüchterner Einschätzung kaum.

Sowohl bei der Rats- als auch der Bürgermeisterwahl war das Meiste erwartbar. Erwartbar war ein knappes Rennen in der Bürgermeisterwahl. Erwartbar war (nach den Resultaten der Bundestagswahl im Februar), dass die AfD um die 10 bis 15 Prozent holen und mit mehreren Vertretern in den Rat einziehen würde. Dass es aus dem Stand gleich 8 werden würden, konnte allerdings im traditionell sehr „grünstarken“ Unna doch ein wenig überraschen.

Absolut erwartbar war, dass die Grünen nach ihrem rein bundesbedingten Höhenflug 2020 wieder auf ihrem Sockel von um die 7 bis 9 Ratssitzen landen würden, was sie wahrscheinlich selbst schon geahnt und deshalb fast ihr gesamtes Personal ausgewechselt hatten. Dass sie sich jetzt im Ratssaal einer genau gleich starken AfD gegenüber sehen, ließ den gescheiterten Bundestags-und Bürgermeisterkandidaten Michael Sacher in einem Reel auf Facebook sogleich den Kampf gegen „acht Rechtextreme im Rat“ ausrufen, was für den künftigen Umgang miteinander Ungutes erahnen lässt.

Was zumindest erahnbar war: dass die FLU aus dem Rat fliegen würde. Mal ehrlich: Für was stand diese ehemals konservative, von der CDU abgespaltene Wähleralternative eigentlich noch? Ihr kluger, charismatischer Kopf und Gründer Klaus Göldner, der vormals gegen jedwede Ideologien zu Feld gezogen war und z. B. versucht hatte, den Vormarsch der Tempo 30-Strecken auf Unnas Haupstraßen durch alternative Ideen wie Flüsterasphalt zu verhindern, band plötzlich Engelsflügel an Linden und stimmte für drastisch verteuertes Innenstadtparken bei gleichzeitiger Beseitigung von Innenstadtparkplätzen.

Das war gelinde irritierend, wobei die Linden-Idee durchaus rührend und leider sinnig war. Aber Ja zu 2,50 Euro Parkgebühr pro Stunde?

Selbst die SPD, „grünen“ Themen stets weitaus zugeneigter als ehedem die FLU, bewies bei dem unseligen Parkkonzept, das sich längst als Schlag ins Kontor erwiesen hat, genug gesundes Misstrauen, um sich wenigstens zu enthalten, so lange das versprochene Parkleitsystem noch nicht umgesetzt ist. Siehe da – die Skepsis war begründet, auf das Parkleitsystem wartet Unna fast zwei Jahre später immer noch.

Enttäuscht über ihr Abschneiden war auch die andere Unnaer Wählergemeinschaft, Wir für Unna (WfU), die trotz emsiger Ratsarbeit, bienenfleißigen Wahlkampfs und eines Bürgermeisterkandidaten, der offenbar bei den Menschen ankam, einen ihrer 4 Ratssitze verlor. Vielleicht bedeuteten die Verluste aber auch einfach ein Schrumpfen auf Normalmaß, da WfU bei ihrem Ersteinzug in den Rat vor 5 Jahren enorm vom Rückenwind des Eishallenthemas getragen wurde.

Nachdem die Eishalle abgerissen war und Geschichte ist, fehlt WfU ihr einstiges Kernthema. Die Abstimmung zum Parkkonzept buchstäblich verschlafen, ein vehementer Kampf für eine Höffner-Ansiedlung in Massen, Nein zu gebürenfreien Kitas… da fehlt noch ein bisschen eine klare Linie im WfU-Konzept.

Dazu traten in Form von Volt und der AfD neue Mitbewerber um die begehrten Ratsplätze auf die Bildfläche, und anders als z. B. die Linke, die (erwartbar) vom Bundestrend gestärkt aus der Wahl hervorging, kann eine Wählergemeinschaft von keinem Bundestrend profitieren. Das Gute ist: Sie kann auch von keiner Bundespartei in die Tiefe gerissen werden.

All dies berücksichtigt, hat WfU gar nicht schlecht abgeschnitten. Ob es unbedingt hilfreich war, kurz vor der Wahl das Eishallenthema wieder aufzuwärmen, sei dahingestellt. Für pragmatische, ideologiefreie und bürgernahe Politik besteht jedenfalls auch im unübersichtlicheren und inhomogeren neuen Unnaer Rat Bedarf, vielleicht mehr denn je. Das schließt zementierte Abstimmungsgemeinschaften (wie mit CDU, FDP und Grünen) selbstverständlich aus.

Wie sieht es mit der knapp bestätigten Bürgermeisterpartei aus? Auch die CDU gewann in der Ratswahl erwartbar, wenngleich ihr Bundes- und Wigant-Bonus nicht so hoch ausfiel, wie es sich manche in der Partei vielleicht erhofft hatten. Mit dem komfortablen Zurücklehnen in den schwarzgrün gepolsterten Mehrheitssessel ist es für die Christdemokraten und ihren Bürgermeister jedoch vorbei.

Der auf Sicherheit bedachte Dirk Wigant wird sich in seiner zweiten Amtszeit völlig neuen Konstallationen gegenübersehen. Einem geschwächten grünen Expartner, dessen gescheiterter Bürgermeister- und Bundestagskandidat sich gegenüber der AfD schon jetzt auf Aggro gebürstet zeigt; einer SPD-Mehrheit, die viel Selbstbewusstsein getankt hat und nicht so schnell vergessen wird, wie Wigant sie in den letzten 5 Jahren links liegen gelassen hat; 8 AfD-Vertretern, die bisher noch eine Wundertüte sind; und dazu zwei Dreierfraktionen, da zu vermuten ist, dass sich die beiden Linken und der Volt-Ratsherr zusammenschließen werden.

Überhaupt nicht überraschen wird es auch, wenn der einzige FDP-Ratsherr Benjamin Lehmkühler – nach der bizarren Wahlempfehlung seiner „Autofahrerpartei“ für den Bürgermeister der autoarmen City – nun auch konsequent gleich zu dessen Partei überläuft und der CDU damit Gleichstand mit der SPD beschert. Dennoch bekommt Wigant auch dann keine Mehrheit mehr hin. Und die SPD wird nicht für eine „GroKo“ zur Verfügung stehen – das hat ihr Partei- und Fraktionschef zuletzt heute noch einmal im Gespräch mit der Redaktion unmissverständlich klar gemacht.

Themenbezogene Absprachen schließt das natürlich nicht aus. Aber auch dafür wird die SPD die Latte hochlegen und der Bürgermeisterpartei (hoffentlich) keine Blankoschecks ausstellen, sonst haben die Genossen ihren zurückgewonnenen Kredit beim Wähler in 5 Jahren gleich wieder verspielt.

Die wiedererstarkte Unnaer Sozialdemokratie hat ein Comeback geschafft, von dem wohl nur wenige sehr optimistische Genossen zu träumen wagten. Nach den katastrophalen Verlusten der SPD bei der Bundestagswahl im Februar, wo sich insbesondere in den beiden größten Unnaer Stadtteilen blaue Balken angsteinflößend in den Himmel reckten, dürfte manchem Genossen am Abend der Ratswahl ein Gebirge vom Herzen gepurzelt sein. Statt schlimmster Szenarien sahen sie sich sogar einem deutlichen Zuwachs gegegenüber, räumten Direktmandate ab und ziehen als stärkste Kraft in den neuen Rat.

Neutral von außen betrachtet kommt das so überraschend nicht, da die Unnaer SPD in den letzten fünf Jahren in ihrer unfreiwilligen Opposition gegen Schwarzgrün sehr viel gelernt und umgesetzt hat.

Sebastian Laaser, in Personalunion Partei- und Fraktionsvorsitzender, hat es geschafft, aus einem heillos zerstrittenen und intriganten Scherbenhaufen, den ihm im Sommer 2020 sein Vorgänger Volker König vor die Füße warf, ein zahlenmäßig geschrumpftes Team zu formen, das offenkundig funktioniert und dem es – anders als Jahrtzehnte vorher – um Sachfragen geht statt stumpfen „Partei- und Verwaltungklüngel“.

Dass der CDU-Bürgermeister gar nicht erst mit den Genossen klüngeln wollte, sondern sich lieber von den Grünen „am Nasenring durch die Manege ziehen“ ließ (was die CDU-Altvorderen irritierenderweise stillschweigend mitmachten), hat der SPD letztlich sehr gut getan. Sie wurde durch den schwarzgrünen Pakt gezwungen, sich auf ihre eigene Themen und ihr eigenes Profil zu konzentrieren, und hat das mit fleißiger Arbeit in den Ortsteilen, neuen Formaten wie dem Weihnachtsmarkt oder dem Familienfest in Königsborn und Zuhör-Besuchen vor Ort in einer Form hinbekommen, die die Wähler offenbar honoriert haben.

Wobei eines natürlich auch klar ist: Die zentralen Entscheidungen und großen öffentlichen Streittemen der Stadt – vom Reallabor Schulstraße über Tempo 30 auf Hauptstraßen, den Bürgergarten am Morgentor, das 30 Mio. Euro teure Bildungszentrum am Hertinger Tor bis hin zum Aus für die Eishalle – hat die SPD sämtlich mitgetragen, meistens auch einstimmig. Ob die Genossen im Rückblick allerdings noch einmal für Ideologieprojekte mitstimmen würden wie Steuerzuschüsse für private Lastenräder, darf zumindest mit einem kleinen Fragezeichen versehen werden.

Ein Kurswechsel in der Unnaer Politik ist jedenfalls in den nächsten 5 Jahren weder zu erwarten, zu befürchten noch zu erhoffen. Aber die Unnaer – oder besser diejenige Hälfte der Wahlberechtigten, die an der Wahl teilgenommen hat – haben schließlich auch keinen Kurswechsel gewählt.

Und der anderen Hälfte war es offensichtlich egal.

Silvia Rinke

3 KOMMENTARE

  1. Vielen Dank für diesen Kommentar.

    Zutreffender und besser kann man den Wahlausgang nicht beschreiben.

    Sinnvolle, rationale und konstruktive Zusammenarbeit wurde in den letzten 5 Jahren mit einem BM Wigant nicht praktiziert und ist bei der neuen Zusammensetzung des Rates schon recht nicht zu erwarten.

    Einen (echten) Wahlsieger gibt es nicht, Verlierer werden in den nächsten 5 Jahren die Bürger sein.

  2. Danke St. GREMLIN
    tja und die Verlierer sind Unna und seine Bürger.
    Das wird gruselig.
    Wer führt den Wiegand den jetzt am Nasenring vor?
    Ich hätte mir den kommunikationsstarken und selbstbewussten Herrn Ganzke für Unna gewünscht. Ich habe ihn als sehr offen und informiert erlebt, Power pur.
    Das hätte Unna mal gut getan. Schade

  3. Solange der mündige Unnaer Wähler zu einem nicht unerheblichen Prozentsatz „gesichtslose“ Rechtsradikale ohne echten Bezug zu Unna (mit denen niemand sonst zusammenarbeiten wird) und linksideologische Kandidaten wählt, die in der laufenden Ratsperiode nichts Vernünftiges für unsere Stadt beigetragen haben, solange braucht sich hier niemand über schwierige Mehrheitsverhältnisse im neu gewählten Rat wundern. Ach ja, und die Reststimmen für die FDP hätte man auch gleich auf die CDU buchen können.

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

Please enter your comment!
Please enter your name here