Am letzten Tag vor der Entscheidung geben die politischen Akteure in der Unnaer Fußgängerzone an diesem Samstag, dem 13. September, noch einmal alles.
Überall stehen Wahlkampfstände und leuchten Fähnchen umd Luftballons in den Farben der Parteien, von Volt am Anfang der Bahnhofstraße bis hoch zur CDU auf der Massener Straße, die sich diesen Abschnitt der Fußgängerzone mit der FLU teilt und bei der morgigen Wahl viel zu verlieren hat: das Bürgermeisteramt und ihre bisherige komfortable Mehrheit mit einem nur einzigen (grünen) Abstimmungspartner.
Völlig unberechenbar, wie die CDU-Wähler den grünen Anstrich goutieren, den sich die Unnaer Christdemokraten in ihrer Zweckgemeinschaft mir den Grünen verpasst haben.

Dass es so einfach auch im nächsten Rat wieder werden wird mit dem Durchbringen von Anträgen, glaubt hier am CDU-Stand an diesem Samstagmittag niemand. Das glaubt auch kein Vertreter der anderen 8 Parteien und Wählergruppen, die sich mit der morgigen Wahl allesamt den Einzug in den Stadtrat erhoffen.
Sieben wollen erneut einziehen und dabei möglichst ihr Ergebnis von 2020 halten: Dies sind CDU, SPD, Grüne, WfU, die FLU, die FDP und die Linkspartei.
Zwei Parteien möchten zusätzlich dazu neu ins Stadtparlament einziehen: die Europapartei VOLT und der Umfrage-Shootingstar AfD. Die beherrschende Frage in diesen letzten Stunden vor der Wahl ist in der Unnaer City mehr noch als das Bürgermeisterthema die Frage: Wie blau färben sich morgen Abend Unnas bisherige rote Festungen Königsborn und Massen?
In den beiden größten Stadtteilen hat die AfD bei der Bundestagswahl am 23. Februar bis zu 35 Prozent geholt und die SPD eine noch nie dagewesene Klatsche kassiert
Auch die Grünen sind abgestürzt und konnten in den bundes- und landesweiten Umfragen bisher nicht wieder aufholen. Am Wahlkampfstand mit der Sonnenblume wirkt die Stimmung entsprechend angespannt.

Man geht davon aus, sagt Ratskandidat Jörg Biel, „6 bis 9 Sitze“ zu holen. Die Grünen hatten in Unna immer eine Stammwählerschaft in diesem Umfang, könnten diesmal allerdings Stimmen an VOLT verlieren.
13 Mandate haben die Grünen aktuell noch im Unnaer Rat, ebenso wie die SPD. Diese kann nur inständig darauf hoffen, dass die Bundestagswahl vor einem halben Jahr nicht das kommunale Ergebnis schon vorweg genommen hat. Sonst dürfte die SPD in Königsborn und Massen morgen in Wortes Sinne ihr blaues Wunder erleben.
Darauf hoffen natürlich die „Blauen“, die auf der Bahnhofstraße schräg gegenüber den Genossen blaue Luftballons verschenken. Ihr Spitzenkandidat Jan Bienas und Ratskandidat Andreas Lauber gehen von einem zweistelligen Ergebnis aus, in jedem Fall von guter Fraktionsstärke für die Unnaer AfD.

Lauber (re.) war viele Jahre SP-Mitglied. Er sagt, die Partei habe ihn abgrundtief enttäuscht und mit ihm ganz viele weitere frühere Wähler, die sich von der einstigen Arbeiter- und Arbeitnehmerpartei nicht mehr vertreten sehen. In der AfD hofft er, etwas bewegen zu können.
Abwartend und vorsichtig geben sich die Genossen selbst an ihrem Stand, einige blicken fast furchtsam auf den morgigen Wahlsonntag.
Bürgermeisterkandidat Hartmut Ganzke nimmt sich da aus. Verhaltenheit, Zweckpessimismus und übertriebene Bescheidenheit sind dem selbstbewussten Politprofi wesensfremd.

Die Stichwahl zwischen ihm und Amtsinhaber Dirk Wigant (CDU) ist für ihn gesetzt, und bei der Ratswahl geht der Massener unbekümmert auch davon aus, so verkündet er es zumindest: die SPD werde ihr Ergebnis von 2020 halten und sogar steigern können.
Auf eine leichte Steigerung hofft auch die Linke, die in Unna diesmal mit einem ganz neuen Team antritt und es daher etwas schwerer hat. Sie muss mit den neuen Köpfen überhaupt erst einmal bekannt werden.
Mit Hestia van Roest und Jonas Menn auf den Plätzen 1 und 2 sei man jedoch zuversichtlich, wieder Fraktionsstatus zu erreichen, erklären die Wahlkämpfer in ihrem roten Zelt auf der unteren Bahnhofstraße. Zumindest ein wenig setzt die Linke auf den positiven Bundestrend, insbesondere bei den jüngeren Wählern.

Bedauerlich sei gewesen, sagt Hestia van Roest, dass es im Wahlkampf fast ausschließlich Diskussionen der Bürgermeisterkandidaten gegeben hat, was die drei Parteien ohne eigene Kandidaten ausschloss.
„Zu einer dieser Diskussionen wurden wir sogar eingeladen. Das war aber ein Versehen. Wir wurden anschließend wieder ausgeladen“, erzählt Hestia van Roest.
Das war ärgerlich und für die Linke nicht nachvollziehbar. „Der Bürgermeister kann ja ohne den Rat praktisch nichts entscheiden.“

Auch ohne Bürgermeisterkandidaten, anders als noch bei der Wahl vor 5 Jahren, kämpfen FDP und FLU für eine weitere Ratsperiode, beide hoffen auf je 2 Mandate, das wäre Fraktionsstärke.
Doch möchte FLU-Gründer Klaus Göldner, bis heute DAS Gesicht und die Stimme der freien Liste Unna, nicht in die Glaskugel schauen.

Das Ergebnis 2020 war für die FLU nach extrem fleißigen 5 Ratsarbeitsjahren enttäuschend, diesmal „warten wir einfach ab“.
Abwarten muss auch die FDP in der Hoffnung, nicht vollends in den Abwärtssog ihrer Bundespartei gerissen zu werden. Die Liberalen haben im Unna alles auf die Karte Autofahrer gesetzt, auf den Kampf gegen Parkgebühren und Tempo 30.

Darauf war ihr gesamter Wahlkampf fokussiert. Spitzenkandidat Benjamin Lehmkühler zeigt sich sicher, dass die Rechnung aufgeht.
FDP-Landratskandidat Andreas Wette aus Fröndenberg wiederum hofft, Landrat Mario Löhr (SPD) in die Stichwahl gegen Marco Morten Pufke (CDU) zu zwingen, welcher seinerseits verkündet, dass er Landrat wird. Diesmal endlich, im zweiten Anlauf.

Vom Bundestrend abgekoppelt ist auch die zweite Unnaer Wählergruppe, Wir für Unna (WfU).
Ihr Bürgermeisterkandidat Sven Arnt hat sich als Newcomer bei den Kandidatenpodien gut geschlagen, kommt dem Gefühl nach auch bei vielen Unnaern gut an.
Doch eine Prognose wagen die WfU-ler mit Blick auf den Wahltag nicht.
Sven Arnt selbst wäre wahrscheinlich am überraschtesten, sollte er plötzlich Bürgermeister sein, wovon er nicht ausgeht. Doch gänzlich ausgeschlossen ist es natürlich nicht.
Realistisch blicken sie bei WfU auf die Ratswahl. Vier Mandate hat die junge Wählergemeinschaft vor 5 Jahren aus dem Stand erreicht, das war ein toller Erfolg.

„Mehr wäre diesmal natürlich super“, erklären Ratskandidatin Martina Tsatsoulis und Spitzenkandidatin Maggie Strathoff. „Aber wir sind auch zufrieden, wenn es bei vier Sitzen bleibt.“
Gänzlich locker aufspielen kann schließlich VOLT. Die peppig lilafarbige Europapartei, die viele zuerst mit Klimaschutz verbinden, tritt mit der in Fröndenberg wohnenden Bürgermeisterkandidatin Lea Emler erstmals in der Kreisstadt an. Sie muss weder Vorjahreswerte erreichen noch Bundestrenderwartungen einlösen, kann deshalb locker aufspielen und nur gewinnen.

Entsprechend aufgeräumt und gesprächig erlebt man das VOLT-Trio Emler, Thomas Franta und Nancy Meier am finalen Vorwahltag in der Fußgängerzone. Als Prognose für den Rat gibt Franta „2 Sitze“ aus. „Das könnte ich mir vorstellen.“
So oder so: Der neue Unnaer Rat wird bunt. Bunter als je zuvor.