Der Baum macht Dreck. Die Tauben, die im Baum sitzen, machen noch mehr Dreck. Der Baum verschattet den Balkon. „Ich mag ja Bäume. Im Wald.“
Mit solchen Begründungen wollte ein Eigentümerpaar in einem Mehrparteienhaus in Königsborn die riesige Kiefer fällen lassen, die seit Jahrzehnten auf dem Grundstück zwischen Straße und Hauseingang steht.
Gut 15 Meter hoch, überragt sie mit ausladender Krone und doppeltem Stamm fast schon das dreistöckige Haus. Wie lange sie schon dort steht, können die Eigentümer nur schätzen; es mögen gewiss mehrere Jahrzehnte sein.
Sowohl die langjährigen Wohnungsbesitzer als auch wechselnde Mieter des Hauses schätzten in den zunehmend heißen Sommern der vergangenen 20 Jahre gerade die Schatten spendende Wirkung des Baumriesen, der die Süd- und Westseite des Gebäudes stets verlässlich vor ganztägiger praller Sonneneinstrahlung schützt.
Nun sollte die Kiefer plötzlich weg. Beantragt wurde die Fällung im Rahmen einer turnusmäßigen Eigentümerversammlung von einem Neueigentümer, der erst wenige Wochen zuvor die Erdgeschosswohnung erworben hatte.
Schon der Vorbesitzer dieser (vom Schatten der Kiefer besonders betroffenen) Parterrewohnung hatte im Jahr zuvor vergeblich versucht, sich des lästigen Baumriesen zu entledigen. Die Mehrheit der Eigentümer stimmte entrüstet mit Nein, damit sahen einige die Sache als erledigt an.
Vorschnell, wie sich herausstellte. Denn die Erdgeschosswohnung wechselte den Besitzer, und in der Einladung zur nächsten turnusmäßigen Eigentümerversammlung stand die leidige Baumfällung abermals auf der Tageordnung – diesmal initiiert von den neuen Mitbesitzern, die den Alteigentümern bis dato noch völlig unbekannt waren.
In der Folge kam es, wie zwei der Eigentümer unserer Redaktion schilderten, zu einer Verkettung unglücklicher Umstände.
Da die Hausverwaltung den Termin für die Eigentümerversammlung in die Sommerferien gelegt hatte, waren einige Wohnungsbesitzer im Urlaub. Zwei hatten per Mail Widerspruch gegen den Termin eingelegt, um einen Ersatztermin gebeten und waren dann ahnungslos in die Ferien gefahren – nicht wissend, dass ihr Widerspruch nicht angekommen war, weil zwischenzeitlich die Mailadresse der Hausverwaltung gewechselt hatte.
Eine weitere Alteigentümerin hatte wegen eines plötzlichen Trauerfalls in der Familie den Termin Anfang Juli schlicht nicht mehr auf dem Schirm, wieder ein anderer hatte die Versammlung schlicht vergessen.
Und so kam es dann, dass sich am Nachmittag die Eigentümerversammlung nur wenige Teilnehmer einfanden, darunter die fällungsbeflissenen Neubesitzer. Und zum Entsetzen der anwesenden Alteigentümer fiel mit hauchdünner Mehrheit der Beschluss: Die Kiefer wird gefällt.
Die überstimmten Alteigentümer waren fassungslos.
„Man fällt doch keinen gesunden Baum – gerade nicht in der heutigen Zeit! Und schon gar nicht fällt man einen SOLCHEN Baum!“
Die Hausverwaltung wurde durch den formal korrekten Mehrheitsbeschluss zwar zunächst zum Fällen der Kiefer verpflichtet. Doch gab der Verwalter noch in der Versammlung den warnenden Hinweis, dass dieser Beschluss vermutlich anfechtbar sein würde.
Denn: Beim Entfernen eines so großen und markanten Baumes liege möglicherweise eine „bauliche Veränderung“ der Immobilie vor. Und dafür wäre ein einstimmiger Beschluss erforderlich statt eines Mehrheitsvotums.
Ein solches Gerichtsverfahren könne jeder Eigentümer, egal ob anwesend bei der Versammlung oder nicht, in Gang setzen, gab der Verwalter zu bedenken. Und die Kosten trage dann die gesamte Hausgemeinschaft. Lässiges Schulterzucken bei der Pro-Fällungs-Fraktion: Dann sei das eben so, darauf lasse man es ankommen.
Vor dem Unnaer Amtsgericht landete die Königsborner Kiefer dann aber doch nicht:
In einer eiligen Rundmail beantragten zwei völlig aufgebrachte Alteigentümer eine kurzfristige außerordentliche Eigentümerversammlung mit einem einzigen Tagesordnungspunkt: Erneute Abstimmung über die Fällung der Kiefer und Rücknahme des Erstbeschlusses. Der Hausverwalter setzte den Auftrag zur Fällung aus, und am 19. September traf sich die nun vollständige Alteigentümergemeinschaft geschlossen vor dem Haus und unter der Kiefer – mit diesmal deutlicher Mehrheit wurde der Fällungsbeschluss gekippt.
„Was uns vor allem schockiert hat“, schilderte uns eine Eigentümerin abschließend, „war, wie einfach es trotz Klimaveränderung und ausgerufenem Klimanotstand in Unna weiterhin ist, völlig gesunde, Jahrzehnte alte große Bäume zu vernichten.“
Denn obwohl sich die Kreisstadt vor zwei Jahren als Stadt des „Klimanotstands“ definiert hat, wurde die vor vielen Jahren abgeschaffte Baumschutzsatzung für private Bäume bisher nicht wieder aktiviert.