Mitten in der Pandemie sollen Teile des „Masterplans Grundschule“ in NRW umgesetzt und die Lehrpläne an Grundschulen geändert werden. Die Bildungsgewerkschaft GEW NRW fordert Schulministerin Yvonne Gebauer nachdrücklich auf: „Verschieben Sie das!“
„Auch in diesem Jahr findet der Schulbetrieb außerhalb jeglicher Normalität statt. Die Einführung der neuen Lehrpläne würde einen massiven zusätzlichen Einsatz der Lehrkräfte erfordern, die bereits an ihrer Belastungsgrenze arbeiten. Sämtliche Arbeitspläne, Unterrichtsmaterialien und Zeugnisraster müssten in einem viel zu eng gesteckten Zeitfenster überarbeitet werden, die Implementierung der Lehrpläne könnte nicht mit der gebotenen Sorgfalt erfolgen“, appelliert GEW-Landesvorsitzende Maike Finnern in einem offenen Brief an Ministerin Gebauer.
Wie es in NRWs Schulen ab Februar weitergehe, sei völlig unklar. Gewiss aber sei, so Finnern wörtlich: „Für die Beschäftigten ist dieses Schuljahr bereits jetzt eines der schwierigsten, das sie bislang erlebt haben.“
Die zum 01.08.2021 geplanten Vorhaben des Schulministeriums erschiene ihnen daher als „ein Schlag ins Gesicht“.
Englisch künftig erst ab Klasse 3: „Freude am Lernen einer Fremdsprache wird Leistungsdenken untergeordnet“
Der neue Lehrplan Englisch für die Grundschulen bringt gravierende Änderungen der Stundentafel und bietet keinen Raum mehr für unbeschwerten spielerischen Zugang zur Sprache“, kritisiert Susanne Huppke, Expertin in der GEW NRW für Grundschule und Leitungsteam der Fachgruppe. Sie schreibt in einem Meinungsbeitrag:
„Wann ist der richtige Zeitpunkt für das Erlernen einer Fremdsprache? Brauchen Kinder, die mehrsprachig aufwachsen mehr Zeit, bevor sie mit Englisch beginnen oder fällt es ihnen sogar leichter, eine weitere Sprache zu erlernen? Solche und ähnliche Fragen wurden in der Fachgruppe Grundschule der GEW NRW engagiert diskutiert, seitdem die schwarz-gelbe Landesregierung im Koalitionsvertrag einen späteren Beginn des Englischunterrichts angekündigt hatte.
Nun liegt der Entwurf zur Änderung der Ausbildungs- und Prüfungsordnung Grundschule (AO-GS) vor, mit dem Englisch in Klasse 1 und 2 abgeschafft werden soll. Die Auswirkungen auf die Stundentafel der Grundschule sind ebenso gravierend wie die Änderung im Bereich Methodik und Didaktik im Entwurf des Lehrplans Englisch.
Stundentafel Englisch: Deutsch, Mathematik, Sach- und Förderunterricht betroffen
Bereits ab 1. August 2021 soll der Englischunterricht an den Grundschulen in NRW erst ab Klasse 3 beginnen und dann dreistündig erteilt werden. Da sich in der Stundentafel für die Grundschulen die Gesamtzahl der Stunden pro Jahrgang nicht ändern soll, wird künftig der Block Deutsch, Mathematik, Sachunterricht und Förderunterricht in Klasse 1 und 2 um jeweils eine Stunde aufgestockt, in Klasse 3 und 4 dagegen jeweils um eine Stunde gekürzt.
Schulministerin Yvonne Gebauer argumentiert damit, dass Deutsch und Mathematik gestärkt werden sollen. Wie sich das mit einer Stundenkürzung in Klasse 3 und 4 vereinbaren lässt, bleibt ihr Geheimnis. Die GEW NRW befürchtet, dass der Leistungsdruck auf Kinder und Lehrkräfte zunimmt.
Der gültige Lehrplan: Sprachliche Handlungsfähigkeit mit Freude entwickeln
Der Englischunterricht in der Grundschule stellt große Anforderungen an die unterrichtenden Lehrkräfte. Sie sollen Englisch spielerisch vermitteln und Kinder ermutigen, sich möglichst schnell in der neuen Sprache auszudrücken.
Die Mündlichkeit und das Sprachhandeln in bedeutungsvollen Situationen stehen im Vordergrund. Dabei spielen Erfahrungsfelder aus der kindlichen Lebenswirklichkeit eine zentrale Rolle. Schüler*innen sollen ermuntert werden, „sich zuversichtlich in der fremden Sprache auszudrücken und etwas zu riskieren“. Das bedeutet, sie dürfen sich ohne die Angst, Fehler zu machen, möglichst schnell und frei in der neuen Sprache ausdrücken. So erfahren sie, dass eine Verständigung auch dann möglich ist, wenn beim Sprechen noch Fehler gemacht werden.
Der neue Lehrplan: Von Anfang an korrekt
Oft gab es Konflikte mit aufnehmenden Schulen, die ein ausgereiftes Sprachniveau inklusive eines orthografisch gesicherten Wortschatzes erwarteten. Der Englischunterricht der Grundschulen soll sich künftig an dem übergeordneten Ziel der Anschlussfähigkeit an die Sekundarstufe I orientieren.
Die GEW NRW kritisiert, dass die Anforderungen für die Sekundarstufe I bereits vorab festgeschrieben wurden. Besonders Methodik und Didaktik des Englischunterrichts in der Grundschule sollen sich verändern.
Nicht mehr hören und einfach sprechen, stattdessen korrekte Schreibweise
Eine rein mündliche Aneignung soll nicht mehr stattfinden, vielmehr soll die Schrift von Beginn an eine bedeutende Rolle spielen. Sehr bedauerlich ist es, dass Kindern mit der Streichung der sogenannten „silent period“ die Möglichkeit genommen wird, zunächst einfach zuzuhören, ohne selbst zu sprechen.
Schrift soll von Beginn an als Merk- und Lernhilfe genutzt und das Leseverstehen gefördert werden. Das ist ein hoher Anspruch, wenn das Erlesen englischer Wörter noch gelernt werden muss. Beim Aufbau eines Wortschatzes – bestehend unter anderem aus Nomen, Verben, Adjektiven, Konjunktionen und feststehenden Phrasen – soll künftig von Anfang an die korrekte Schreibweise einen hohen Stellenwert haben.
Auch wenn die Orthografie weiterhin nicht in die Leistungsbewertung einfließen soll, so gilt:
„Beim Schreiben mithilfe von Vorlagen und beim Verknüpfen von Wörtern und Satzstrukturen zu eigenen Texten wird auf die korrekte Schreibweise geachtet.“ Nach Ermutigung und dem bewussten Eingehen von „Risiken“ klingt das nicht mehr. Wenn die Freude am Fremdsprachenlernen dem Leistungsdenken und sprachlicher Korrektheit untergeordnet wird, dann weist der neue Lehrplan in eine falsche Richtung.“
Quelle: GEW NRW