Alles wieder auf Null. Die Stadt Kamen empfiehlt dem Stadtrat für dessen Sitzung in dieser Woche (Donnerstag), den Haushaltsbeschluss für 2026 aufzuschieben.
Denn: „Eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen verändert die Ausgangslage“, erklärt Stadtsprecher Peter Büttner.
Eigentlich sollte der Kamener Rat heute im Haupt- und Finanzausschuss und am Donnerstag in der Ratssitzung den Haushalt und den Stellenplan für nächstes Jahr beschließen. In dem Haushaltsentwurf schlug die Verwaltung auch eine Anhebung der Grundsteuer B auf über 1000 Punkte vor (wir berichteten), das wäre kreisweit Spitze gewesen.
Doch das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat die bisherige Grundsteuer-Differenzierung zu Lasten von Nichtwohngrundstücken in mehreren NRW-Städten mit Urteilen vom 4. Dezember für unzulässig erklärt.
Das betrifft nicht nur Kamen, sondern kann auch für jede andere Stadt zum Problem werden, die sich bei der Neuberechnung der Grundsteuer für den differenzierten Hebesatz entschieden hatte – darunter ist auch die Kreisstadt Unna.
Auch ihr Rat beschloss unterschiedliche Hebesätze für Wohn- und Nichtwohngrundstücke.
Anders als sein Kollege in der nördlichen Nachbarstadt hat der Kämmerer von Unna, Michael Strecker, allerdings keine Veränderung des Hebesatzes in den aktuellen Haushaltsentwurf geschrieben.
Die Verwaltungsspitze von Unna will den Haushalt eigentlich am 18. Dezember vom Rat beschließen lassen, doch erhob sich dagegen schon Widerspruch, da zwischen Einbringung und Verabschiedung des Haushalts nur drei Wochen liegen. Die SPD hat deshalb gemeinsam mit der Fraktion Die Linke.Volt beantragt, den Beschluss auf Februar 2026 zu verschieben. Von einer Mehrheit für diese Forderung ist auszugehen. Zumal jetzt mit Blick auf die neu angefachte Grundsteuerdiskussion.
Die Stadt Kamen hatte wie berichtet vorgeschlagen, die Grundsteuer sowohl für Wohn- als auch für Nichtwohngrundstücke anzuheben.
„Gestiegene Mittelzuflüsse aus dem Gemeindefinanzierungsgesetz (GFG) ermöglichten es dann, den Hebesatz für Wohngrundstücke bei 940 Punkten zu belassen und den Haushaltsplanentwurf entsprechend anzupassen“, so Rathaussprecher Büttner.
Für Nichtwohngrundstücke sieht der Haushaltsplanentwurf hingegen eine Anhebung auf 1880 Punkte vor.
Das Verwaltungsgericht erklärte jedoch, dass unterschiedliche Hebesätze für Wohn- und Nichtwohngrundstücke ohne ausreichenden rechtlichen Grund gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Steuergerechtigkeit verstoßen.
Fiskalische Gründe allein reichten hierfür nicht aus.
„Solange unklar ist, ob und in welchem Umfang eine Differenzierung der Hebesätze künftig überhaupt noch zulässig sein wird, können wir keine tragfähige und rechtssichere Planung für das Haushaltsjahr 2026 vorlegen“, sagt Kamens Kämmerer Christian Völkel. „Wir benötigen zunächst die ausführliche schriftliche Urteilsbegründung und müssen dann bewerten, welche Konsequenzen sich hieraus für die Stadt Kamen ergeben.“
Das Urteil enthält sowohl die Zulassung einer Berufung beim Oberverwaltungsgericht für das Land NRW als auch die Möglichkeit einer Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht. Dadurch bestehe die Chance auf eine vergleichsweise zügige übergeordnete Klärung.
Nach Vorlage der Urteilsbegründung und Klarstellung der Rechtslage wird die Stadt Kamen mit den Beteiligten die weitere Vorgehensweise abstimmen. Die Stadtverwaltung geht davon aus, dass Haushalt und Stellenplan dann in Sondersitzungen der Politik zu Beginn des kommenden Jahres verabschiedet werden.
(Quelle Stadt Kamen)
Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen begründet seine Entscheidung wörtlich wie folgt:
Grundsteuer in NRW: Höhere Hebesätze für Nichtwohngrundstücke aus fiskalischen Gründen verstoßen gegen den Grundsatz der Steuergerechtigkeit
04.12.2025
Die von den Städten Bochum, Essen, Dortmund und Gelsenkirchen festgelegten höheren Hebesätze zur Bestimmung der Grundsteuer für in der jeweiligen Gemeinde liegende Nichtwohngrundstücke verstoßen gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Steuergerechtigkeit.
Darauf basierende Grundsteuerbescheide sind rechtswidrig. Dies hat das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen mit Urteilen vom 4. Dezember 2025 entschieden.
Die Klägerinnen und Kläger sind Eigentümer von Grundstücken in der jeweilig beklagten Gemeinde. Sie klagen gegen Grundsteuerbescheide, mit denen die Gemeinde die Grundsteuer für ihre Grundstücke festgesetzt hat.
Diese Grundstücke hatten die zuständigen Finanzämter jeweils im Grundsteuerwertbescheid für das Verwaltungsgericht bindend als Nichtwohngrundstück eingeordnet.
Es handelt sich um Geschäfts-/Gewerbegrundstücke und um unbebaute Grundstücke.
In allen vier Verfahren hat die jeweilige für 2025 geltende Gemeindesatzung über den Grundsteuerhebesatz für die Grundsteuer B unterschiedliche Hebesätze für „Wohngrundstücke“ und „Nichtwohngrundstücke“ vorgeschrieben. Damit haben die Gemeinden von einer ihnen durch das Land Nordrhein-Westfalen im Zuge der Reform des Grundsteuerrechts eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht.
„Wohngrundstücke“ in diesem Sinne sind Grundstücke mit Einfamilien- und Zweifamilienhäusern, Mietwohngrundstücke und Wohnungseigentum.
Die beklagten Städte wollten durch die differenzierten Hebesätze u.a. die Wohnnebenkosten aus sozial- und gesellschaftspolitischen Gründen reduzieren oder zumindest auf dem bisherigen Niveau halten. Die dadurch verminderten Grundsteuereinnahmen sollten die höheren Hebesätze für Nichtwohngrundstücke ausgleichen.
Die Klägerinnen und Kläger sehen sich gegenüber Eigentümern von Wohngrundstücken ungerechtfertigt benachteiligt.
Die 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen gab den Klägerinnen und Klägern recht und hat die sie betreffenden Grundsteuerbescheide aufgehoben.
Die höheren Hebesätze für die Besteuerung der Nichtwohngrundstücke in den Satzungen der Gemeinden verstoßen gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Steuergerechtigkeit. Sie benachteiligen die Eigentümer von Nichtwohngrundstücken ohne rechtlich tragfähigen Grund gegenüber den Eigentümern von Wohngrundstücken.
Bei dem gleichen Steuergegenstand sind einheitliche Hebesätze steuergerecht. Abweichungen durch unterschiedliche Hebesätze sind zu rechtfertigen. Hierfür reichen rein fiskalische Gründe nicht aus.
Die Abweichungen von einem einheitlichen Hebesatz nach unten zur Privilegierung von Wohngrundstücken durch niedrigere Hebesätze können sachlich durch Gemeinwohlzwecke gerechtfertigt sein, wenn sie einen Anstieg der Wohnkosten vermeiden sollen. Jedoch finden sich zur Überzeugung der Kammer keine sachlichen Gründe für die Abweichungen von einem einheitlichen Hebesatz nach oben durch die höheren Hebesätze für die Nichtwohngrundstücke.
Diese dienten dazu, das Gesamtaufkommen der Grundsteuer für die Gemeinden nicht deutlich unter das Vorjahresaufkommen sinken zu lassen, wenn der Hebesatz für Wohngrundstücke niedriger bestimmt wurde. Dieser rein fiskalische Zweck eignet sich nicht als Rechtfertigung für die erhöhten Hebesätze zulasten der Nichtwohngrundstücke.
Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Die Kammer hat die Berufung bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen und die Sprungrevision bei dem Bundesverwaltungsgericht zugelassen.
Aktenzeichen: 5 K 2074/25 (Essen), 5 K 3234/25 (Bochum), 5 K 3699/25 (Dortmund), 5 K 5238/25 (Gelsenkirchen).




































